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Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13

Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13

Titel: Schwestern des Mondes 01 - Die Hexe-09.06.13
Autoren: Yasmine Galenorn
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Vereinbarung nach, fraß die Biester aber nicht. Ein-, zweimal am Tag öffnete sie ein Fenster in ihrem Büro, unter dem der große Müllcontainer in der Gasse hinter dem Haus stand, und warf ein paar tote Ratten hinaus. Wie sagte sie dazu stets? »Wer weiß, wo die Viecher schon überall waren? Eine Großstadtratte fressen? Das soll wohl ein Scherz sein!«
    »Ihre Schwester sieht Ihnen wirklich gar nicht ähnlich«, bemerkte Henry beim Bezahlen. Er war ein Schatz und erinnerte mich sogar an einen meiner Onkel, außer dass Henry natürlich nicht mit Bäumen reden konnte. Und er war jünger als ich, obwohl er viel älter aussah. Außerdem behandelte er uns mit beinahe höfischer Höflichkeit, die ich in der Erdwelt ansonsten sehr vermisste.
    Ich packte seine Einkäufe ein – Henry las mit Begeisterung Sciencefiction und Fantasy und fraß sich durch mindestens ein halbes Dutzend Bücher pro Woche – und reichte ihm die Tasche. »Ich sehe unserem Vater ähnlich. Sie kommt nach unserer Mutter, und die war ein Mensch.«
    Das stimmte, und nicht nur, was das Äußere anging. Delilah, das goldene Kind unter uns dreien, würde immer mehr einem Menschen ähneln als ich. Sie hatte ein weiches Herz und glaubte fest an das Gute im Menschen. Manchmal sorgte ich mich um sie. Was unsere Schwester Menolly anging, wusste niemand so recht, von wem sie ihr Aussehen geerbt haben könnte. Das rote Haar war eine rezessive Anlage in beiden Abstammungslinien unserer Eltern, doch wir waren nie dahintergekommen, welche Seite bei ihr überwog. Dass sie in einen Vampir verwandelt worden war, machte die Sache noch komplizierter.
    Ich begleitete Henry zur Tür, drehte das Schild von »Offen« auf »Geschlossen« und lehnte mich an den Türrahmen. Der Regen ließ nach, doch die letzten Tropfen benieselten noch den Bürgersteig. Ich schob den Kopf unter der Markise hervor, fing einen Tropfen mit der Zunge auf und verzog das Gesicht ob des säuerlichen Geschmacks. Der Regen in der Anderwelt ist rein und fast süß, wie Mineralwasser. Noch ein Stück Heimat, das ich hier vermisste.
    Seufzend ging ich hinein, schloss die Tür und kehrte zum Ladentisch zurück. Es war schon fast dunkel. Die Nacht mit ihren dichten Wolken kam im pazifischen Nordwesten recht früh – einer der Vorteile dieser Gegend. Bis wir zu Hause ankamen, würden wir Menolly unbesorgt wecken können.
    Als ich gerade die Kasse abrechnete, hüpfte Delilah die Treppe herunter. »Ist Chase schon da?«, fragte sie und setzte sich auf die Tischkante, während ich Quittungen wegräumte und die Kasse abschloss. Sie schlang die Arme um die Knie, neigte den Kopf zur Seite und beobachtete mich. Ich hätte schwören können, dass ihre Ohren dabei zuckten.
    Ich warf einen Blick zur Tür. »Nein, aber du kannst dich darauf verlassen, dass er hierher unterwegs ist. Chase kommt nie zu spät, außer er hat irgendeinen Notfall. Und, wie war deine Observation? Hast du sie in flagranti erwischt?«
    Delilah lächelte. »Nein. Es hat sich herausgestellt, dass die Frau in ihrer Mittagspause ehrenamtlich im Waisenhaus in der Wilson Street aushilft. Ich habe ein bisschen nachgebohrt und herausgefunden, dass sie sich Kinder wünscht, ihr Mann aber steril ist. Ich glaube, sie würde gern ein Kind adoptieren, will ihm aber noch etwas Zeit lassen.«
    »Was hast du ihm erzählt?«
    »Dass sie ihn nicht betrügt. Dass sie einen Termin außerhalb der Schule hatte. Dass er sich keine Sorgen machen und seine Frau mehr schätzen sollte.« Sie kicherte hämisch. »Das hat ihm nicht sonderlich gefallen. Ich glaube, er hat insgeheim auf eine Affäre gehofft, damit er ihr Vorwürfe machen und sich moralisch überlegen fühlen kann. Weißt du, manchmal verstehe ich die Kultur hier wirklich nicht. Wenn sie ihn liebt, warum sollte er sich dann verunsichern lassen, wenn sie sich mit jemand anderem paart?«
    Ich lachte. »Ich glaube, wir werden nie alles verstehen. Nicht so richtig. Ich habe keine Ahnung, wie unsere Mutter es geschafft hat, sich in dieser Welt anzupassen. Allerdings war sie auch hundertprozentig menschlich, was Fragen der ehelichen Treue anging«, sagte ich und dachte an die scharfe Zunge, mit der sie hin und wieder auf Vater losgegangen war. »Du weißt genau, dass sie einen Aufstand veranstaltet hätte, wenn Vater je mit einer anderen Frau geschlafen hätte.«
    »Das hätte er nicht. Vater hat doch nie eine andere Frau auch nur angesehen. Ich kann mich an kein einziges Mal während unserer gesamten
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