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Schwerter und Rosen

Schwerter und Rosen

Titel: Schwerter und Rosen
Autoren: Silvia Stolzenburg
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über den Ring in seiner Tasche strich, überlegte er, ob er sich ein paar der mit Mohn oder Pflaumenmus gefüllten Hamantaschen zum Frühstück leisten sollte. Er spielte noch mit diesem Gedanken, als Bewegung in die Karawane kam und sich der äußere Ring der Reiter zum Aufbruch bereit machte.

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    »Seid vorsichtig Vater.« Das dunkelhaarige Mädchen mit den wachen, blaugrünen Augen blickte besorgt zu dem bärtigen Mann auf, der sich behände in den Sattel seines prächtigen Kamels geschwungen hatte. Sein mitternachtsblaues Gewand wurde von einer einfachen silbernen Spange an der linken Schulter zusammengehalten, und die Kappe, die seinen dunkelblonden Schopf bedeckte, war von bescheidener Schlichtheit. Die intelligenten Augen blitzten lachend aus dem sonnengebräunten Gesicht hervor. »Sorge dich nicht, Rahel.« Mit dem kurzen Stock in seiner Rechten gab er dem Tier zu verstehen, dass es sich erheben sollte, und schwankend wie ein Betrunkener kam das Kamel auf die Beine. »Ich werde in spätestens einem halben Jahr wieder bei euch sein.« Da auch die letzten Mitglieder der Karawane inzwischen zum Aufbruch bereit waren, beugte sich Nathan ein letztes Mal zu seiner Ziehtochter hinab, um ihre ausgestreckte Hand zu umschließen. »Daja und die Bediensteten werden für deine Sicherheit sorgen«, beruhigte er sie – die Tränen missverstehend, die in ihren Augen schwammen. Mit einem lautlosen Gebet drückte sie seine kräftige Hand an die Lippen, bevor sich die mit Geldtruhen beladene, bis an die Zähne bewaffnete Kolonne in Richtung Damaskustor in Bewegung setzte. Hinter dem trutzigen, zweistöckigen Gebäude, in dem der Kaufherr wohnte, erhob sich in der Sonne funkelnd die goldene Kuppel des qubbat al-sakhra, des Felsendoms, der auf dem Heiligen Felsen des haram esh-sharif – des Tempelbergs – über der Westmauer des jüdischen Viertels prangte.
    »Kommt gut zurück«, flüsterte sie erstickt, während sie der farbenprächtigen Prozession mit den Augen folgte. Warum musste ihr Vater ausgerechnet jetzt, da die Kunde von einem heranrückenden Kreuzfahrerheer die Stadt erreicht hatte, auf Kauffahrt nach Babylon gehen?, fragte sie sich bange. Was, wenn ihm etwas zustieß? Mit klammen Fingern zog sie das elfenbeinfarbene Seidentuch, das ihren Kopf bedeckte, enger um die Schultern und wandte sich zu Daja um. Die Christin – Witwe eines fränkischen Ritters, der bei der Belagerung einer Festung ums Leben gekommen war – stand seit über zehn Jahren in Nathans Diensten und war vom ersten Tag an Rahels Vertraute gewesen. Zwar wusste das sechzehnjährige Mädchen, dass Nathan nicht ihr leiblicher Vater war. Doch konnte sie sich an niemand anderen erinnern, da sie ein Säugling von einem halben Jahr gewesen war, als sie der Obhut des Juden übergeben worden war. »Lass uns hineingehen«, schlug sie seufzend vor. »Es gibt noch einiges zu tun. Und bei Sonnenuntergang beginnt der Schabbat .« In seiner Abwesenheit würde Rahel die Geschäfte ihres Vaters weiterführen. Im Gegensatz zu den christlichen Frauen war es für die jüdisch erzogenen Mädchen ein selbstverständlicher Teil der Ausbildung, Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen, sodass sie – wenn sie das heiratsfähige Alter erreicht hatten – selbst einen Beruf ausüben oder ihrem Ehemann zur Hand gehen konnten. Gerade als sie in die Kühle des Wohngebäudes eintauchen wollte, fiel ihr Blick auf eine in schlechte Gewänder gehüllte Männergestalt, die unter den ausladenden Wedeln einer uralten Palme verharrte und ihre Bewegungen zu beobachten schien. Wer der Mann wohl war? Da er sich jedoch keine zwei Wimpernschläge später abwandte und in den Schatten einer Gasse verschwand, wischte sie den Gedanken mit einer ungeduldigen Geste beiseite und folgte Daja in das Kontor des Kaufherrn.

    London, White Tower, Juli 1189

    »Ihr habt mich sehr wohl verstanden!« Die tiefe, dröhnende Stimme erklang so unvermittelt neben der im Dunkeln liegenden Nische, dass ihr Bedränger einen Moment lang den eisernen Griff um Catherines Oberarm lockerte. Doch dieser Augenblick genügte, um den lähmenden Schleier der Furcht zu zerreißen, der ihren Widerstand erstickt hatte, und ihm geistesgegenwärtig einen Tritt gegen das ungeschützte Schienbein zu versetzen. Mit einem wüsten Fluch ließ er sie fahren. Wie von der Sehne geschnellt duckte sie sich an seinem massigen Körper vorbei, kollidierte um ein Haar mit zwei Vermummten, die ihr neugierige und beunruhigte Blicke
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