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Schwert und Laute

Schwert und Laute

Titel: Schwert und Laute
Autoren: Sonia Marmen
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Mann hatte es gewusst... Und er hatte ihn auf seine Weise warnen wollen. Er musste gehorchen, aber konnte man einen Mann zwingen, den Befehl zu einem solchen Massaker an unschuldigen Menschen zu befolgen, und wenn er vom König selbst gekommen wäre? Übertrug die Stellung des Monarchen ihm denn göttliche Macht, das Recht, über Leben und Tod von Frauen und Kindern zu befinden? Doch seine Fragen blieben ohne Antwort.
    Er hatte keine Zeit, sich seinem Schmerz hinzugeben, er musste weitergehen und sich auf die Suche nach dem Rest seiner Familie machen, die irgendwo in den Bergen sein musste. Sie würden später zurückkehren und Ginnys sterbliche Hülle bergen. Für sie konnte er nichts mehr tun, ebenso wenig wie für seinen Vater.
    Der Sturm heulte immer noch und schien in seinen Zorn und Hass einzustimmen. Er peitschte die Bäume, pfiff zwischen den Ästen hindurch und trug seinen wütenden Schrei bis in das vom Blut Unschuldiger gerötete Tal.
    Liam umging die vom gefrorenen Schnee glatten Steilhänge. Die schneidende Kälte drang ihm in die Knochen. Mechanisch setzte er einen Fuß vor den anderen, ohne wirklich zu sehen, wohin er trat. Seine Gedanken begannen sich zu verwirren. Ständig sah er vor seinem inneren Auge die grauenhaften Szenen, die sich in seinem Elternhaus abgespielt hatten, und dann schien das entsetzte Gesicht seiner Schwester plötzlich Annas Züge zu tragen. Seine unsteten Gefühle sprangen zwischen Zorn, Schuldbewusstsein und tiefem Schmerz hin und her.
    Er befand sich auf einem Felsvorsprung. Der wirbelnde Schnee umschlang ihn wie ein Leichentuch. Über sich vernahm er plötzlich näher kommende Männerstimmen, unter denen er die des Laird 2 , Macdonald von Achnacone, und die von Angus Macdonald
erkannte. Eilig kletterte Liam den Felssturz hinauf und hievte sich vor den Füßen der verblüfften Männer auf den nächsthöheren Vorsprung.
    »Liam, mein Freund! Du lebst!«, rief einer der Männer aus und half ihm beim Aufstehen.
    Schweigend umarmten sich die beiden, dann ergriff der Ältere das Wort.
    »Dein Vater...«, murmelte der Laird.
    »Er ist tot, und Ginny auch...«
    Liam versagte die Stimme, und er wandte sich ab, um die Tränen zu verbergen, die ihm in die Augen stiegen.
    »Colin und Sàra konnten rechtzeitig fliehen«, fuhr er dann fort. »Wo Anna und Coll sind, weiß ich nicht.«
    »Die beiden leben, Liam«, versicherte ihm Angus. »Sie sind auf der anderen Seite des Berges, zusammen mit den anderen, die fliehen konnten.«
    »Geht es ihnen gut?«, fragte Liam besorgt.
    »Komm mit uns, sie warten in einer Höhle, weiter unten im Süden. Wir müssen die Frauen und Kinder vor Anbruch der Nacht nach Appin führen, sonst überstehen sie diese Kälte nicht.«
    Liams Unruhe wuchs. Sie lebten, aber wie lange noch? Anna war von so zarter Gesundheit.

    Kinder wimmerten, andere schliefen in den Armen ihrer erschöpften und lethargischen Mütter. Ehefrauen weinten in fremden Armen, die ihnen nur wenig Trost schenken konnten, um ihre bestialisch abgeschlachteten Männer. Es war ein düsteres, ergreifendes Bild.
    Anna saß auf dem Boden und strich zärtlich über das Haar des kleinen Coll, den sie fest in ihren Umhang gewickelt hatte. Sie hatte die Augen geschlossen und sah den Mann nicht, der sich ihr näherte. Liam kauerte vor ihr nieder und streichelte ihre eiskalte Wange.
    »Mo ghrian ...«
    Mühsam schlug Anna die Augen auf. Liam lächelte ihr traurig zu.
    »Liam! Oh, Liam! Du bist ...«

    Sie umarmten einander so fest, wie sie es mit der verbliebenen Kraft vermochten.
    »Ich habe dir doch gesagt, dass du es schaffen würdest«, flüsterte Liam.
    »Ja, und du hast mich gefunden«, setzte sie mit schwacher Stimme hinzu. »Ich hatte Angst um dich, Liam. Ich habe gesehen, wie die Soldaten zum Haus deines Vaters gingen, und ich dachte schon, ihr hättet keine Zeit mehr gehabt zu fliehen.«
    Liam ließ sich neben ihr nieder, nahm sie in die Arme und küsste dann ihre Stirn.
    »Ich war tatsächlich noch im Haus... Mit Vater und Ginny.«
    Anna erstarrte, sagte aber nichts. Sie ahnte sofort, dass Blut geflossen war.
    »Colin und Sàra konnten rechtzeitig flüchten. Aber ... Vater ist tot, Anna. Sie haben ihn... abgeschlachtet wie ein Tier... Herrgott! Und ich habe nichts unternommen! Ich habe es nur geschafft, Ginny herauszuholen, aber sie...«
    Seine Schuldgefühle und ein Schluchzen, das in seiner schmerzenden Kehle aufstieg, erstickten ihn fast. Anna legte die kalten Finger auf Liams Hand und sah
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