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Schwelbrand

Schwelbrand

Titel: Schwelbrand
Autoren: Hannes Nygaard
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zurückgekehrt und hatte den Einkauf im Vectra verstaut. Der Kofferraum hatte sich wieder einmal als zu klein erwiesen, und so musste er einen Teil der Ware mühsam auf Rücksitz und Beifahrersitz verteilen.
    Er war genervt. Ein ganzer Tag Arbeit bedeutete nicht so viel Stress wie die vorweihnachtliche Hetzerei durch die Geschäfte. Asmussen hatte auch keinen Blick dafür gehabt, wer auf dem lebhaft frequentierten Parkplatz in seiner Nähe mit ähnlichen Verrichtungen beschäftigt war. Er hatte sich auch keine Gedanken gemacht, ob die Menschen ähnlich gestresst waren wie er selbst. Zu allem Überfluss hatte es auch unablässig geregnet. Husum, die feuchte Stadt am Meer.
     
    Es regnete immer noch. Asmussen war von oben bis unten durchnässt. Das Wasser tropfte ihm von den feuchten Haaren ins Gesicht, leckte in die Augen und lief über die Wange am Hals entlang in den Kragen. Die Kleidung hatte den Regen, dem er jetzt seit einiger Zeit ausgesetzt war, aufgesogen. Die Nässe war selbst durch die Unterwäsche bis auf die Haut durchgedrungen. Hinzu kam der Wind, der die Feuchtigkeit noch schlimmer erscheinen ließ. Es war eiskalt. Asmussen fror erbärmlich. Er zitterte am ganzen Leib, seine Zähne schlugen aufeinander, soweit es ihm möglich war. Immer wieder irrten seine Augen umher, versuchten die Dunkelheit zu durchdringen. Mehr als die hohen Lichtmasten des Betriebswerks der Nord-Ostsee-Bahn konnte er nicht erkennen. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Wie spät mochte es sein? Es schien ihm unendlich lange her, dass die Lampen aufgeflammt waren. Fast hatte es ihn ein wenig beruhigt, nachdem er zuvor nur die Lichtkuppel Husums am Horizont hatte erkennen können. Sonst hatten die dichten Regenwolken die Welt in eine bedrohliche Finsternis getaucht. Selbst die kahlen Büsche und Bäume am Bahnhang wirkten unheimlich. Asmussen war kein ängstlicher Mensch, aber die ganze Umgebung hatte ihn fürchten lassen. Es war nicht nur die Kälte, die ihn zittern ließ. Es war die nackte Angst.
    Wieder peitschte ihm der Regen ins Gesicht und ließ ihn ein wenig schaukeln. Asmussen hatte nicht mitgezählt, wie oft er sich gewunden hatte, verzweifelt bemüht, sich aus seiner Lage zu befreien. Er hatte an den Kunststofffesseln, die fast wie Kabelbinder aussahen, gezerrt, mit denen seine Hände auf dem Rücken fixiert waren. Das Plastik hatte sich nur noch tiefer ins Fleisch eingegraben. Er spürte den schneidenden Schmerz nur, wenn er kraftlos für einen Augenblick innehielt, um sich neu zu sammeln. Seine Kräfte waren verbraucht. Trotzdem zerrte er immer wieder an den Fesseln, versuchte seinen Körper ins Schwingen zu bringen, aber mehr als eine leichte Schaukelbewegung brachte er nicht zustande. In den kurzen Pausen versuchte er, durch Grimassen und Bewegungen seiner Zunge den Klebestreifen vom Mund zu lösen. Wenn er wenigstens den abstreifen könnte, so könnte er schreien und hoffen, dass ihn jemand in dieser regnerischen und windigen Dezembernacht hören würde. Er hatte versucht, die Schulter in die Höhe zu ziehen, um das Pflaster am Kragen des Dienstparkas abstreifen zu können. Dabei hatte er sich lediglich die Haut abgescheuert, die jetzt höllisch brannte.
    Zwischendurch lief immer wieder der Film seines Lebens vor seinem geistigen Auge ab, Rieke, die Söhne, die Eltern und der verwitwete Schwiegervater, Freunde, Kollegen … Das Haus, auf das er so stolz war und für das er viele andere Dinge hatte aufgeben oder zurückstellen müssen. Man lebte eingeschränkt, verzichtete auf Urlaub, fuhr ein altes Auto … Doch all das hätte er hergegeben, wenn er sich hätte befreien können.
    Asmussen stöhnte auf, als ihm seine Lage erneut bewusst wurde. Er wehrte sich nicht, als sich zum wiederholten Male sein Darm entleerte. Es war die Angst. Panische Angst. Das Grauen hatte sich in sein Hirn gefressen. Sein Kreislauf drohte zusammenzubrechen. Er hoffte, dass er das Bewusstsein verlieren würde, dass die Natur ihm gnädig war. Sie tat ihm nicht den Gefallen.
    Zwei Männer hatten ihn angesprochen, als er die Einkäufe in seinem Auto verstaut hatte. Natürlich wollte er ihnen behilflich sein und war den beiden gefolgt, obwohl ihm die Zeit inzwischen davonzulaufen drohte. Die beiden hatten ihm erklärt, sie seien fremd in der Stadt. Sie hatten den großen Parkplatz direkt vor dem Einkaufszentrum verlassen, waren an der Ecke des Gebäudes auf die erweiterten Plätze abgebogen, die sich an der tristen und fensterlosen Längswand
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