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Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Schwarzfeuer: Roman (German Edition)

Titel: Schwarzfeuer: Roman (German Edition)
Autoren: Liane Merciel
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den Nebel ein, um die Kerze zu holen. Corban stellte sich vor, dass der Rauch emporwehte, um den ausgezehrten Mann zu grüßen, während er auf dem Boden kniete; er bildete sich ein, dass sich einzelne Schwaden in Gethels farbloses Haar wanden, wie die Finger einer Dame, die ihren Geliebten zu einem Kuss herunterzog.
    Ein Hauch wehte zu ihm herüber. Es stank nach Schwefel und Aas, nach toten Dingen, die an dunklen Orten verwesten. Und doch … Es war etwas beinahe Erkennbares darin, etwas, das eine alte, vage Erinnerung berührte. Er atmete tiefer und versuchte, das Gefühl einzuordnen, streckte die Hand nach der Erinnerung aus. Irgendwie schien es wichtig zu sein – aber es war fort.
    Corban schüttelte den Kopf und wischte sich das Blut vom Gesicht, wobei er darauf achtete, die Innenseite seines Umhangs zu benutzen, damit man das Blut nicht sah, wenn er durch die Gassen ging. Die Realität dessen, was er beobachtet hatte, war erstaunlich genug. Man musste das Ganze nicht noch durch Ausgeburten seiner Fantasie komplizierter machen.
    »Wie viele von diesen Bolzen könnt Ihr anfertigen?«
    »Die Bergleute sind auf eine reiche Ader gestoßen. Es lässt sich nicht sagen, wie viel sie herausholen können. Aber meine Former … meine Former sind inzwischen ziemlich abgenutzt. Wenn ich mehr davon hätte, sollte ich imstande sein, schneller zu arbeiten.« Rauch kringelte sich um Gethels Roben, als er zum Rand des Raums zurückkehrte. Corban trat zurück und hielt den Atem an.
    Doch er hatte nichts von dem Rauch zu befürchten. Im Rauch lag der Geruch von Triumph, von Reichtum, der ihm nach einem Leben des Wartens zufiel.
    Corban ließ den Rauch seine Lungen füllen. »Wo liegen ihre Grenzen?«
    »Die der Former?«
    »Die der Bolzen.«
    Achselzuckend stellte Gethel seine Kerze hoch, bevor er hinter ihr herkletterte. Der wabernde Rauch fiel von seinen Kleidern ab wie Wasser, das einem Schwimmer über den Rücken perlte. »Das kann ich noch nicht sagen. Ich arbeite noch nicht sehr lange damit; was Ihr heute gesehen habt, ist nur ein erster Versuch. Das Ganze muss noch vervollkommnet werden. Aber wenn wir fertig sind, wird es verheerend wirken. Ihr habt die Macht gesehen, die in einem winzigen Kiesel liegt. Wir haben viel mehr. Befeuchtet es mit Blut, und der Zorn des Schwarzfeuersteins kennt keine Grenzen.«
    »Es freut mich, das zu hören. Was brauchen Eure Former?«
    »Kleine Hände. Kleine Hände sind besser, um die Kiesel anzufertigen und geschickt zu platzieren.« Gethel klopfte auf die filigrane Spitze des unbenutzten Bolzens. »Große Hände können eine so zarte Arbeit nicht bewerkstelligen.«
    »Ihr sollt sie bekommen. Was noch?«
    »Zeit. Nur Zeit.«
    »Zeit.« Corban sog das Wort durch die Zähne, zusammen mit einem schwarzen Rauchschwaden. Tatsächlich war der Rauch überhaupt nicht ranzig. Er war vollkommen süß. »Gebt mir, was Ihr habt, und ich werde Euch Zeit verschaffen.«

1
    Frühjahr 1218
    Die Nacht legte sich über die Himmelsnadel.
    Bitharn stützte die Ellbogen auf das Fenstersims und sah zu, wie die Welt unter ihr dunkel wurde. Sie stand nicht allzu weit unter der Spitze des kristallenen Turms. Tief unter ihr im Süden sah sie die grünen Hügel und hohen Wälle von Cailan und dahinter das sich kräuselnde Glitzern des Meeres. Über ihr waren nur Glas und Himmel.
    Der Turm war wunderschön; aus einem tiefen Rosa und Violett an seiner Basis stieg er in honig- und bernsteinfarbenen Wirbeln immer weiter in die Höhe, wobei er immer heller wurde, bis er an der Spitze die strahlende Leuchtkraft des Sonnenlichts erreichte. Von dem Sonnenzeichen einmal abgesehen, das den Turm krönte, war die Himmelsnadel vollkommen glatt und durchscheinend wie Wolkenlicht, das durch Wasser fiel. Keine menschliche Hand hatte solche Pracht erbaut; Celestias Gesegnete hatten sie mit ihren Zaubern ins Leben gerufen und Magie gewoben, die so stark war, dass Sonnenlicht zu Stein wurde. Der Turm war älter als Cailan, älter als das Königreich Calantyr, aber bei Weitem jünger als der Zweck, dem er diente.
    Die Himmelsnadel war ein Gefängnis.
    Natürlich nicht für gewöhnliche Gefangene. Im Turm gab es keine Diebe oder Mörder; für die reichten die Kerker von Weißenstein. Die Himmelsnadel war Feinden des Glaubens vorbehalten, jenen, die als zu gefährlich galten, als dass man sie in Ketten legen könnte, jenen, bei denen der Richtblock ein zu großes Risiko darstellte. Ein paar waren Seelen, welche die Gesegneten für nicht
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