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Schwarzer, Wolf, Skin

Schwarzer, Wolf, Skin

Titel: Schwarzer, Wolf, Skin
Autoren: Marie Hagemann
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gekrochen. Wir schliefen in einem Zimmer. Wenn der Alte das merkte, hat er uns noch mal extra verdroschen. Mit einem Gummischlauch. Wir wußten eigentlich immer, wenn er um zehn noch nicht zu Hause war, dann würde wieder was los sein. Nach Mitternacht. Mein Bruder kam so um zehn Uhr zu mir ins Bett. Er bettelte. Er zitterte, der Kleine. Wir haben nie richtig geschlafen, bis der Alte kam. Um zwölf Uhr ging Günther wieder zurück in sein Bett. Um halb eins öffnete sich die Wohnungstür. Erst der Schlüssel, das Quietschen der Tür. Sofort Licht an im Flur. Zimmertüren auf, und es brüllte:
    »Antreten!« Wir sprangen aus den Betten und waren sofort im Flur. Meine Schwestern schliefen nebenan. Aber die prügelte mein Vater seltener. Er ging meist auf uns Jungen. Er prügelte irgendwohin. Er sagte dann: »Jungen müssen hart sein.«
    Meine Mutter stand hinten in der Ecke. In ihren Augen stand die blanke Angst. Aber die Augen wurden sofort kalt, wenn der Alte sie anguckte. Wie eine Waffe waren sie dann. Stahlgrau und hart. Auch ihr Mund. Verkniffen.
    Selten ging meine Mutter dazwischen. Und wenn, holte sie sich ein blaues Auge. Oder sie wurde vor unseren Augen völlig blau und grün gehauen. Alles: Arme, Beine, Rücken.
    Ich hab ein paarmal geschrien. Vater verbot uns zu schreien. Das sei unmännlich. Und die Nachbarn schliefen schließlich. Aber ich hab dann trotzdem geschrien, damit einer käme und uns holte. Mehrmals.
    Einmal ist unser Nachbar gekommen. Nur einmal. Er hat geklingelt und hat uns in seine Wohnung geholt. Es war ein alter Mann. Er wohnte irgendwann nicht mehr da. Ob mein Alter was damit zu tun hatte? Und es hat auch keiner mehr geklingelt. Und ich hab nicht mehr geschrien.
    Einmal bin ich zum Jugendamt gegangen. Die Frau war sehr nett. Sie sagte, ich müßte Fakten sammeln. »Ich hab schon genug Fakten gesammelt«, hab ich gesagt und hab ihr meine Arme gezeigt und den Rücken. Ich hatte echt Tränen in den Augen. Wenn unser Staat nicht mehr tut und nicht mehr tun kann! Ich pfeif drauf, auf so einen Staat, der nicht handelt. Deswegen sind doch so viele, die so was erlebt haben wie ich, für Adolf. Der hat was getan. Der hat durchgegriffen! Waren meine blauen Arme und Beine nicht Fakten genug? Deswegen bin ich gegen diesen Staat. Der tut nicht genug. Der müßte durchgreifen. Sofort. Statt dessen können Kinder ruhig verprügelt werden, mißhandelt werden, weil wir ja alle frei sind. Ich weiß, das ist bei den Faschos nicht anders. Aber die prügeln die Kinder, damit sie wissen, wo es langgeht, und wenn sie nicht spuren. Aber mein Vater hat geprügelt, weil er besoffen war und weil er sich schämte und weil er so einen Haß auf die Welt hatte.
    Ja, er hatte einen Haß. Und allmählich bekam ich den auch. So ein Haß, der geht weiter. Du haßt alle um dich herum. Und du haßt dich selbst. Das ist das Schlimmste. Und nirgendwohin kannst du mit diesem Haß! Nirgendwohin. Und du haßt. Und dann packst du dir einen am Kragen, den nächstbesten, und läßt ihn diesen Haß spüren. So läuft das. So ist das mit dem Haß. Der läuft weiter, wie eine Lawine.
    Einmal bin ich am nächsten Morgen los und hab in der Schule einen, der mir so ‘n bißchen weich kam, einfach mal verdroschen. Ich hab ihm eine gescheuert, hab ihm in die Magengrube geboxt. Und das hat Spaß gemacht. Auch als die Tränen kamen. Als dann die Eltern sich beschwert haben, hab ich mir einfach einen andern gesucht. Ich wollte das nur selbst spüren, wie gut das tut, wenn man einen andern zum Weinen bringt. Daß ich dann oben bin – und der andere unten.
    »Bist begabt«, sagte meine Mutter immer, »geh weiter.« Sie meinte Gymnasium oder Realschule. Aber ich hab die Hauptschule nur knapp gepackt. Schule, das war nicht wichtig für mich. Ist eigentlich auch klar, wenn immer nachts Randale war. Wir waren einfach müde. Da war nichts mehr mit Schule.
    Meine Mutter hat das alles anders verkraftet. Sie ist immer für uns vier eingestanden. Nur nachts nicht, wenn er schlug. Wenn er sie blau schlug und dann noch mit ihr schlief. Wenn er sie zwang. Aber am nächsten Morgen stand sie wieder. Sie ging in den Schrebergarten und hat ihren Kohlköpfen von ihrem Leid erzählt. Sonst hatte sie ja keinen.
    Irgendwie find ich sie stark. Aber sie ist eben auch sehr schwach.
    Ich bin auch ziemlich stark. Körperlich, meine ich. Und da ich mich an diesem Abend völlig toft fühlte und meinen Vater brüllen hörte, bin ich rein, hab ihn genommen und gesagt, er
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