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Schwarzer Mond: Roman

Schwarzer Mond: Roman

Titel: Schwarzer Mond: Roman
Autoren: Dean R. Koontz
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sie, zog ihre blauen Strickhandschuhe an, nahm die Tüte und ging an den Tischchen vorbei, an denen etwa ein Dutzend Personen ein spätes Frühstück einnahmen, auf die Tür zu.
    Sie hielt die Einkaufstüte im linken Arm, und mit ihrer freien Hand versuchte sie, ihren Geldbeutel in die Umhängetasche zu schieben. Sie blickte noch auf die Tasche hinab, als sie die Tür erreichte, und in diesem Augenblick betrat ein Mann in grauem Tweedmantel und schwarzer Pelzmütze den Delikatessenladen; auch er war in Gedanken, und so stießen sie zusammen. Ginger taumelte. Der Mann packte ihre Tüte, die hinunterzufallen drohte, und hielt sie mit der anderen Hand am Arm fest.
    »Entschuldigung«, sagte er. »Das war dumm von mir.«
    »Meine Schuld«, sagte sie.
    »Ich habe mit offenen Augen geträumt«, sagte er.
    »Und ich habe nicht geschaut, wohin ich ging«, sagte sie.
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Aber ja. Wirklich.«
    Er reichte ihr ihre Einkaufstüte.
    Sie bedankte sich, nahm ihm die Tüte ab - und bemerkte seine schwarzen Handschuhe. Es waren teure Handschuhe aus hochwertigem Leder, mit feinen Stichen genäht -sie hatten absolut nichts an sich, was ihre heftige Reaktion hätte erklären können: nichts Ungewöhnliches, nichts Seltsames, nichts Bedrohliches. Und doch fühlte sie sich bedroht. Nicht von dem Mann, der ganz durchschnittlich aussah, mit einem blassen runden Gesicht und freundlichen Augen hinter einer Schildpattbrille mit dicken Gläsern. Unerklärlicherweise, unverständlicherweise waren es die Handschuhe als solche, die sie plötzlich erschreckten. Sie hielt den Atem an, und ihr Herz hämmerte laut in der Brust.
    Das Eigenartigste war, wie alle Gegenstände und Personen im Laden mit einem Mal verblassten, so als wären sie nicht real, sondern nur Traumbilder, die sich auflösten, sobald der Schläfer erwachte. Die Gäste, die an den kleinen Tischen frühstückten, die Regale mit Konserven und Kartons, die Theke, die Wanduhr, das Essiggurkenfass, die Tische und Stühle -alles schien in schneeigem Dunst zu flimmern und zu verschwinden, so als stiege durch den Fußboden Nebel empor. Nur die schrecklichen Handschuhe verblassten nicht, ganz im Gegenteil -während Ginger sie anstarrte, registrierte sie jede Einzelheit davon, und sie wurden immer realer, immer lebendiger, immer bedrohlicher.
    »Miss?« sagte der Mann mit dem runden Gesicht, und seine Stimme schien aus großer Entfernung zu kommen, vom Ende eines langen Tunnels.
    Obwohl die Formen und Farben in dem Delikatessengeschäft sich um Ginger herum plötzlich in Weiß aufgelöst hatten, waren die Geräusche nicht ebenfalls dahingeschwunden, sondern wurden lauter und immer lauter, bis ihr die Ohren von sinnlosem Geplapper und klirrendem Geschirr dröhnten, bis das leise Surren der elektronischen Kasse sich wie ein Donnerschlag anhörte.
    Sie konnte ihren Blick nicht von den Handschuhen wenden.
    »Fehlt Ihnen etwas?« fragte der Mann und streckte ihr besorgt seine behandschuhte Hand entgegen.
    Schwarz, eng anliegend, glänzend ... mit einer kaum sichtbaren Struktur im Leder und ordentlichen kleinen Stichen entlang der Finger ... straff über die Knöchel gezogen ...
    Schwindlig, verwirrt, niedergedrückt von der Last undefinierbarer Angst, begriff sie plötzlich, dass sie davonrennen oder sterben musste. Davonrennen oder sterben. Sie wusste nicht, warum. Sie verstand die Gefahr nicht. Aber sie wusste, dass sie davonrennen musste, wenn sie nicht an Ort und Stelle tot umfallen wollte.
    Sie hatte jetzt rasendes Herzklopfen. Der Atem, den sie angehalten hatte, entwich in einem schwachen Schrei, und sie warf sich vorwärts, als wollte sie diesem jämmerlichen Laut folgen.
    Bestürzt über ihre Reaktion auf die Handschuhe, aber völlig außerstande, sie nüchtern zu betrachten, erschrocken über ihr Benehmen, noch während sie handelte, presste sie die Einkaufstüte fest an ihre Brust und stürzte an dem Mann vorbei, der mit ihr zusammengestoßen war. Sie war sich vage bewusst, dass sie ihn fast über den Haufen rannte. Sie musste die Tür aufgerissen haben, obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, und dann war sie draußen, in der kalten Novemberluft. Der Verkehr auf der Charles Street - Autohupen, knatternde Motoren, knirschende Reifen -war rechts von ihr, und die Fenster des Delikatessengeschäftes flogen links an ihr vorbei, während sie rannte.
    Dann nahm sie nichts mehr wahr, die Welt um sie herum verschwamm völlig, und sie hastete mit wehendem Mantel durch
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