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Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)

Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)

Titel: Schwarze Träume: Ein Anita Blake Roman (German Edition)
Autoren: Laurell K. Hamilton
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vermutete, dass er sich über mich ärgerte, fragte aber nicht nach. Falls die Antwort ja wäre, wollte ich es lieber nicht wissen.
    »Nein, du hast gefragt, und ich werde es dir erzählen.«
    Ich zog die Hand zurück und ließ ihn reden, ließ ihn den Sack öffnen, in den ich vor ein paar Minuten noch so dringend reingucken wollte. Jetzt hätte ich gern darauf verzichtet, um diesen Ausdruck von seinem Gesicht zu vertreiben.
    »Weißt du, warum meine Haare so lang sind?«
    Die Frage war so sonderbar, dass ich tatsächlich darauf antwortete. »Nein, ich dachte immer, du magst sie so.«
    Er schüttelte den Kopf und griff sich in seine Mähne, um sie aus dem Gesicht zu halten. »Wenn Chimera eine Gruppe Gestaltwandler übernahm, hat er sie gefoltert oder damit gedroht, um uns gefügig zu machen. Wenn der Kopf der Gruppe der Folter standhielt, suchte sich Chimera einen Schwächeren zum Quälen aus und zwang so die Alphas der Gruppe zum Gehorsam.«
    Er schwieg ein Weilchen, sodass ich etwas sagen musste. »Ja, er war ein sadistisches Schwein. Ich weiß noch, was er mit Gina und Violet gemacht hat, um dich und Merle kleinzuhalten.«
    »Du weißt längst nicht alles«, sagte er, und sein Blick ging in die Ferne. Erinnerungen stiegen auf, die nicht schön waren.
    Die hatte ich nicht aufrühren wollen. Ganz bestimmt nicht. »Micah, ich wollte nicht –«
    »Schon gut. Du wolltest es wissen, und du sollst es wissen.« Er holte tief Luft und schauderte. »Seine Lieblingsfolter war die Gruppenvergewaltigung. Wer von uns nicht mitmachen wollte, den zwang er, sich die Haare wachsen zu lassen. Wenn wir uns wie Frauen benehmen wollten, dann sollten wir auch aussehen wie Frauen.«
    Kurz ging ich sie im Geiste durch. »Du und Merle, ihr seid die einzigen eures Rudels mit langen Haaren.«
    Er nickte. »Ich glaube, Caleb hat es genossen, und Noah auch.« Er zuckte die Achseln. »Wir alle haben Dinge getan, die uns nicht gefielen, aber wir wollten am Leben bleiben, unversehrt bleiben.«
    Caleb konnte in meiner Achtung nicht mehr tiefer sinken, aber Noah durchaus. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Aber Micah brauchte auch keinen Kommentar von mir. Er hatte angefangen zu erzählen und würde erst damit aufhören, wenn die Geschichte zu Ende war, ob ich sie hören wollte oder nicht. Ich war selbst schuld, also hörte ich zu und gab ihm das Einzige, was ich ihm geben konnte: Aufmerksamkeit. Ich äußerte kein Entsetzen, kein Mitleid, sondern hörte nur aufmerksam zu. Entsetzen war überflüssig, und Mitleid – wer mag schon Mitleid?
    »Du hast mit Chimera gesprochen, mehrere seiner Gesichter gesehen, du weißt, wie schizophren er war.«
    »Ja.«
    »Einerseits war er ein brutaler Schläger und vergewaltigte Frauen, und andererseits war er schwul, und jeder Persönlichkeitsteil hasste den anderen.«
    Chimera hatte dem Begriff der gespaltenen Persönlichkeit eine neue Dimension verliehen, da er für jede eine andere körperliche Gestalt gehabt hatte. Ich hätte es nicht geglaubt, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte.
    »Ich bin dem Chimera begegnet, der mich als Gefährtin haben wollte, und dem, der an Frauen gar nicht interessiert war.«
    Micah nickte.
    Ich fürchtete schon, wie die Geschichte weitergehen würde, doch ich hatte damit angefangen. Wenn er es schaffte, darüber zu sprechen, konnte ich zumindest zuhören, bis zum Ende.
    »Beim Vergewaltigen beschränkte er sich nicht auf Frauen«, sagte Micah. »Doch sonderbarerweise tat er es bei Männern nur, wenn die auch schwul waren. Fast als wollte er denjenigen mit dem bevorzugten Geschlecht bestrafen.« Er wollte die Achseln zucken, doch es ging in ein Schaudern über. »Ich habe es nicht verstanden. Ich war nur dankbar, nicht auf der Liste seiner Opfer zu stehen.« Wieder schauderte er.
    »Möchtest du meine Jacke haben?«
    Er zog einen Mundwinkel hoch. »Es liegt nicht an der Kälte.«
    Ich fasste nach seinem Arm, aber er wich aus. »Nein, Anita, lass mich zu Ende erzählen. Deine Berührung lenkt mich nur ab.«
    Dann lass mich dich ablenken, hätte ich gern gesagt, ließ es aber bleiben. Ich hielt Abstand. War selbst schuld. Hätte ich den Mund gehalten, wären wir jetzt im Saal auf der Tanzfläche. Doch stattdessen … wann würde ich lernen, Dinge ruhen zu lassen? Wahrscheinlich nie.
    »Doch irgendwann in dem ganzen Elend entschied er sich anders, weil er auf mich wütend war. Ich wollte mich an seinen Vergewaltigungen nicht beteiligen und wollte auch nicht freiwillig
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