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Schwarze Schmetterlinge

Schwarze Schmetterlinge

Titel: Schwarze Schmetterlinge
Autoren: Anna Jansson
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geworden, um keine Schmerzen zu empfinden, wenn Menschenfüße über ihre graue Haut trampelten. Im Sommer war sie heiß von der Sonne, im Winter weiß vom Frost. Der weiche Kern in ihrem Inneren jedoch war unerreichbar. Die Strandastern steckten ihre Köpfe zusammen und wisperten von dem König, der kommen würde, um sein Kind zu suchen. Sie erzählten sich, wie er auf der Suche nach der Prinzessin sei, die seinerzeit von den bösen Trollen gegen einen schmutzigen Wechselbalg namens Pyret ausgetauscht worden war.
     
    Mama saß auf der karierten Decke und summte vor sich hin. Der kleine Bruder schlief, in eine Decke eingehüllt, auf dem Rücken. Der Schnuller war ihm aus dem Mund geglitten, und er schnarchte ein wenig. Mama berührte mit ihrem Zeigefinger seine Wange, und tief unten in Pyrets Bauch erwachte das Monster mit seiner schuppigen Haut. Es drehte sich einmal um sich selbst, eher es wieder Ruhe gab. Sie hatte diesen Schreihals noch nie leiden mögen. Er war die reinste Plage. Wenn er kackte, dann quoll ihm eine widerliche hellgrüne Soße aus der Hose. Dann schrie er, sodass sein Gesicht ganz rot und schrumplig wurde. Todsicher war auch er ein Wechselbalg, ein Trollkind. Oder aber ein Außerirdischer.
     
    Weiter unten am Wasser war der Sand feucht und leicht zu formen. Jemand hatte dort einen Eimer vergessen. Ohne Mama aus dem Blick zu verlieren, füllte sie ihn mit Sand und häufte drei Eimer voll zu einem Turm auf, den sie mit einer Mauer umgab. Dann grub sie einen Wallgraben, der nach und nach mit Salzwasser gefüllt wurde.
     
    Mama saß auf der Decke, wo sie auch hingehörte. Wenn man sie nicht im Blick behielt, konnte sie leicht verschwinden. Wenn man sie nicht beaufsichtigte, würde womöglich auch sie gegen eine Trollmutter ausgewechselt werden.
     
    »Willst du einen Keks?« Mamas Stimme kam aus dem einen Mundwinkel, auf der anderen Seite wippte der Zigarettenstummel. Die Glut hinterließ einen langen Aschepfeiler, der auf den geblümten Rock und den fusseligen Acrylpullover fiel. Mama streckte Pyret die Kekspackung hin. »Du kannst alle haben, die noch drin sind.«
     
    Pyret quetschte sich die Kekse in den Mund, alle drei auf einmal.
     
    »Guck mal, Mama, ich habe einen riesigen Sandturm gebaut. Mit Muschelfenstern. Im Turm sitzt eine Prinzessin. Der König sucht nach ihr, aber er kann sie nicht sehen, denn für ihn ist sie unsichtbar. Auf seinen Augen liegt ein böser Zauber. Aber eines Tages, wenn der Zauber gebrochen ist, wird er wieder sehen können. Dann kommt er und holt sie. Guck mal, Mama! Da hinten ist er.«
     
    »Jetzt nicht. Ich kann nicht. Lass mich in Ruhe.« Mama legte sich in einem schützenden Halbkreis um den kleinen Bruder, und das Monster in Pyrets Bauch jaulte vor Wut auf. Ihre Hände füllten sich ganz von selbst mit Sand. Eine Handvoll nach der anderen warf sie auf Mamas geblümten Rock. Auch die kleine Kröte in der dicken rotkarierten Decke kriegte ihren Teil des Sandsturms ab, und zwar mitten ins Gesicht.
     
    »Hör auf! Du weckst ihn ja.« Mamas feste Hand packte Pyrets Haare und zog daran, bis die Tränen kamen. »Mach das nicht noch einmal, verstanden?«
     
    »Dumme Mama! Das war doch gar nicht ich«, flüsterte sie leise vor sich hin und vergrub das Gesicht in der Armbeuge, zog sich ins Steinzimmer zurück, in ihr Inneres, das für andere unzugänglich war. Unbeweglich saß sie da und starrte dann mit ihren wütenden Augen auf die beiden. Starrte auf den stummen Strickjackenrücken, der sie aussperrte. Der Blick wurde zu spitzen Nadeln, die sich in Mamas Rücken bohrten. So saß sie lange da, während die Abendsonne ins Meer sank und die Wiesenblumen auf Mamas Rock mit warmen, sanften Farben bemalte.
     
    Sie bemerkte den Schatten, der über sie fiel, erst gar nicht. Stück für Stück, ohne Vorwarnung wurde die Haut auf Mamas nackten Beinen grau, und die Karos auf der Decke dunkel. Wenn es die Schritte eines Sterblichen gewesen wären, dann hätte man sie hören müssen. Das Schilf hätte gerauscht und sie gewarnt. Die Möwen hätten geschrieen.
     
    Mama richtete sich auf, aber in ihrem Gesicht war kein Licht mehr. Pyret folgte ihrem erschrockenen Blick von den großen Füßen des Wesens, den Beinen, der Lederjacke bis hoch zu der Stelle, wo das Gesicht hätte sein müssen. Ein schwarzer Schatten, von glühender Sonne umgeben, und eine Stimme wie aus der Unterwelt. »Kommst du mit? Wir haben was besorgt.«
     
    »Weiß nicht.« Mamas Zeigefinger strich wieder
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