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Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi

Titel: Schwarze Schiffe - Kommissar Ly ermittelt in Hanoi
Autoren: Nora Luttmer
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wohnt.«
    Ly hob die Hand. »Ich weiß, was das für ein Zeichen ist. Aber als Tattoo?«
    Dr. Quang drückte Ly einen Stapel Fotos in die Hand. »Es ist kein richtiges Tattoo. Es ist zumindest nicht mit einer Tattoonadel gemacht worden. Es wurde mit einem Siegel eingebrannt. Wie beim Vieh.«
    *
    Für heute hatte Ly genug. Wie immer, wenn er abschalten wollte, fuhr er in Minhs bia hoi . Minh war Lys ältester und engster Freund. Er hatte viele Jahre in der Verwaltung eines staatlichen Produktionsbetriebs gearbeitet. Als aber mit Doi Moi wieder Privatinitiative zugelassen wurde, hat er sich sofort selbständig gemacht und im Erdgeschoss seines Wohnhauses ein bia hoi eröffnet, eines der typischen Straßenlokale mit frischem Bier lokaler Brauereien und Gerichten der Saison. Es lag mitten in der Altstadt.
    Die Altstadt war Lys Viertel, hier war er aufgewachsen. Vor tausend Jahren als Versorgungszentrum des königlichen Hofstaates angelegt, war dieses Stadtviertel verwinkelt, mit engen Gassen, dunklen Gängen und versteckten Höfen. Aus den Zunftstraßen der Zuckerhändler und Segelmacher waren die Gassen der Spielwarenhändler und Turnschuhverkäufer geworden. Aber das Prinzip, eine Gasse – eine Ware, bestand weiterhin. Die Fassaden waren vom Wetter zerfressen, die Häuser niedrig und mit roten Ziegeln gedeckt. Die Stromleitungen hingen in dicken Bündeln kreuz und quer. Am Straßenrand wuchsen knorrige Mandelbäume und Tamarinden, Vögel schnatterten in ihren Rattankäfigen. Es roch nach Fischsoße, getrockneten Steinpilzen und Shrimps, nach Diesel, Mango und Tigerbalsam.
    Minh stand am Fass und füllte die Gläser. Er hatte schon wieder zugenommen. Mit seinem runden Bauch und dem mondförmigen Gesicht sah er mittlerweile aus wie ein chinesischer Buddha. Ganz im Gegensatz zu Ly, der mit den Jahren immer hagerer wurde.
    »Ly! Schon gegessen? Löst mich mal jemand ab?« Minh nahm zwei randvoll gefüllte Gläser, warf in jedes einen unförmigen Brocken Eis und winkte Ly an einen der niedrigen blauen Plastiktische, die eng gedrängt auf dem Gehweg standen. Mit dem Fuß schob er zwei Hocker heran. Sie setzten sich. Das Bier war kühl, und der Schaum lief außen am Glas herunter.
    »Wolltest du nicht in die Berge?«
    »Hat leider nicht geklappt.« Ly hatte sich sein Wochenende auch anders vorgestellt.
    »Die Tote am Tempel?«
    »Woher weißt du denn schon von der Toten?« In der Presse würden die Fahndungsfotos erst am nächsten Tag abgedruckt werden, und die Abendnachrichten waren noch nicht gelaufen.
    »Ach komm, Ly. Bitte. Hanoi hat die Seele eines Dorfes.«
    Minh hatte recht. Hanoi war ein Dorf. Neuigkeiten gingen herum wie Lauffeuer. Egal was man machte, irgendjemand bekam es immer mit und tratschte es nur allzu gerne weiter. Manchmal fragte Ly sich, wie man überhaupt jemanden umbringen konnte, ohne dass jeder es mitbekam. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass Hanoi jüngst das Umland annektiert und aus der Drei- eine Sechs-Millionen-Stadt gemacht hatte. Offiziell hieß es, es gäbe dafür stadtplanerische Gründe. Ly glaubte eher an die Version, nach der die Stadtoberhäupter es nicht ertrugen, dass Ho-Chi-Minh-Stadt, wie die Bürokraten Saigon immer noch nannten, so viel größer war als die Hauptstadt.
    Mit dem zweiten Bier stand das Essen auf dem Tisch. In einem Topf auf dem Gasstövchen dampfte scharf gewürzter Fischfond. Auf einem Tablett lagen hauchdünn geschnittener Tintenfisch, Krabben, Flusskrebse, Austern, Jakobsmuscheln und Pangasius. Daneben standen Schüsseln mit Reisnudeln, frischem Tofu, Wasserspinat, Koriander, Minze und Basilikum. Es gab außerdem eingelegten Knoblauch und in Essig marinierte Gurken. Ly tauchte eine Scheibe Tintenfisch in die Brühe, nahm sie sofort wieder heraus und tunkte sie in den Dip aus Sojasoße, Pfeffer, Ei und Sesam. Der Tintenfisch war zart und köstlich.
    Der Abendverkehr bewegte sich im immer gleichenRhythmus an ihnen vorbei. Die Lichter glitzerten warm durch das Dunkel. Kinder spielten kreischend zwischen den Tischen. Die Gäste schlürften, schmatzten und redeten. Langsam entspannte Ly sich. Es war nicht mehr heiß, aber angenehm warm, und er fühlte sich wohl. Er aß mit Appetit.
    Sie wechselten kein Wort, bis Minh seine Neugierde nicht länger unterdrücken konnte. »Die Tote. Nun erzähl doch endlich.«
    Ly schaute eine ganze Weile vor sich hin, bis er etwas widerwillig sagte: »Ein Mädchen.«
    »Lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.«
    »Man hat
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