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Schwanengrab

Schwanengrab

Titel: Schwanengrab
Autoren: Petra Schwarz
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zu. So zu tun, als wäre nichts, und dabei möglichst normal zu gehen, während alle einen anstarren, war verdammt schwer. Aber ich schaffte es, ließ mich auf den Stuhl sinken und versuchte sogar noch ein Lächeln – Caro verzog keine Miene. Am liebsten hätte ich mich weggebeamt. Weit weg. Bis in den Westen der USA. An meinen Platz neben Sarah in der Junior High School. Obwohl es dort aufgrund der Zeitverschiebung noch Nacht war – egal. Ich würde warten, bis alle meine Freunde aufgestanden waren und langsam in der Schule eintrudelten. Wir würden wie immer lachen und Spaß haben und uns für den Nachmittag verabreden. Wie immer in diesem Sommer und denen davor.
    Aber das war nun vorbei.
    Ich blickte aus dem großen Fenster. An den ausladenden Ästen des hohen Baumes, der direkt davorstand, färbten sich die Blätter bereits gelb. Der Herbst kündigte sich an. Eigentlich liebte ich diese Jahreszeit. In Berkeley war es dann nicht mehr so heiß. Und dann gab es die vielen Kürbisfeste bis Halloween. Meine Mutter hatte im Oktober Geburtstag. Doch diesmal konnte ich dieses Fest nicht mehr mit ihr feiern. Nie wieder ... nie!
    Ein gelbes Blatt löste sich von einem Ast vor dem Fenster und segelte langsam nach unten.
    »Samantha?« Die Stimme von Herrn Simon drang wie durch einen Nebel und holte mich zurück von den sonnigen Stränden Berkeleys und meinen Freunden in die fremde Schulbank.
    »Samantha! Was habt ihr zuletzt in Mathematik durchgenommen?«, stellte er seine Frage erneut.
    »Ähm ...« Shit. Mathe – ausgerechnet! Irgendwas mit Zahlen. Ich wusste noch nicht mal den deutschen Ausdruck für das Mathechinesisch in meinem Kopf und nannte den erstbesten Begriff, der mit einfiel. »Potentrechnen«, antwortete ich mit einer Stimme, die nicht zu mir gehörte.
    Die Klasse brüllte. »Oder impotent!«, schrie einer von vorne.
    Um Herrn Simons Mundwinkel zuckte es ebenfalls.
    »Du meinst sicher Potenzrechnungen. Gut! Das haben wir auch bereits behandelt. Du kannst dir Carolins Heft bis morgen ausleihen und die Einträge nacharbeiten. Übermorgen schreiben wir einen Test, damit ich sehen kann, wie weit du im Vergleich zu den anderen mit dem Stoff bist.«
    Lautes Stöhnen und Protestrufe kamen zur Antwort.
    Carolin seufzte am lautesten.
    Super! Da hatte ich mich ja schon toll eingeführt.
    Den Rest der Mathematikstunde versuchte ich mich zu konzentrieren – was mir mehr oder weniger gelang. Endlich schrillte die Schulglocke. Erleichtert stand ich auf.
    Caro klatschte ihr Heft vor mir auf die Tischplatte. »Ich muss dir die Schule zeigen«, sagte sie und schob ihrenKaugummi in den anderen Mundwinkel. »Also los! Ich hab keine Lust, die ganze Pause mit dir rumzuhängen.«
    Ich erwiderte nichts, packte alles ein, schwang mir im Gehen die Tasche über die Schulter und schob mich zwischen dem Rest der Klasse hindurch. Um mit Caro Schritt halten zu können, musste ich mich ganz schön beeilen.
    »Lehrerzimmer und Schulleitung.« Carolin deutete den Gang hinunter, lief dann aber in die andere Richtung.
    Im Vorbeigehen deutete sie auf eine Tür. »Klo!«, sagte sie knapp und eilte weiter.
    Wir kamen an einem Pulk Schüler vorbei. Einer starrte mich an, als würde er gleich seinen Pappbecher fallen lassen. Die beiden Mädchen neben ihm steckten tuschelnd die Köpfe zusammen. War ich ein Mondkalb?
    Caro schien es nicht zu bemerken. »Mensa ... Aula!« Sie deutete auf einen Gang, der nach rechts führte.
    »Sporthalle!«, fügte sie hinzu und zeigte in den linken Flur. »So, das war’s. Und pass bloß auf mein Matheheft auf. Hab keine Lust, alles noch mal zu schreiben, nur weil du es verlierst, klar?«, zischte sie und ließ mich stehen.
    Ich kam mir nur noch blöd vor, wusste auch gar nicht, wohin ich gehen sollte. Schließlich entschied ich mich für den Schulhof. Er war schön, mit vielen hohen Bäumen und großen Grünflächen. Ähnlich wie an der Junior High in Berkeley. Nur die Palmen fehlten und der Rap, der immer irgendwo aus den Ecken ertönte.

Kapitel 2
    Ich schlenderte über den Schulhof und steuerte auf eine einsame Buche zu, weit hinten am anderen Ende der Wiese. Dort stand niemand herum und das war mir ganz recht.
    Jemand rempelte mich an, ich stolperte und wäre beinahe gestürzt. Meine Tasche fiel herunter und der gesamte Inhalt verteilte sich auf dem Boden.
    »Ey!«, blaffte mich das Mädchen an. Eigentlich wäre eine Entschuldigung fällig gewesen, stattdessen ging sie einfach weiter. Ich seufzte, bückte
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