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Schwaerzer als der Tod Thriller

Titel: Schwaerzer als der Tod Thriller
Autoren: Tami Hoag
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Wahrscheinlich ein Detective, dachte Anne.
    Die Nachrichten wurden für die Werbung unterbrochen, und auf dem Bildschirm erschien ein Verkäufer, der mit der Stimmgewalt eines Marktschreiers Matratzen anpries. Hätte das Telefon nicht auf dem Sofatisch direkt neben ihr gestanden, hätte Anne es vermutlich gar nicht klingeln hören. Sie nahm ab und zuckte zusammen, als ihr eine Frau ins Ohr brüllte.
    »Ihr Fernseher ist zu laut! In der Nachbarschaft wohnen Leute, die schlafen wollen!«
    Anne schaltete den Ton aus. »Tut mir furchtbar leid, Mrs Iver. Mein Vater hört so schlecht, wissen Sie.«
    Ihr Vater funkelte sie wütend an und rief von seinem Sessel aus quer durchs Zimmer: »Entschuldigung, Judith! Wir haben uns den Bericht über diesen Mord angesehen. Du solltest deine Fenster schließen und verriegeln. Soll ich rüberkommen und mich auf deinem Grundstück umsehen?«
    Die Wahrscheinlichkeit, dass er mitten in der Nacht mit seinem Sauerstoffgerät im Schlepptau nach draußen schlurfte, um für die Sicherheit von Judith Iver zu sorgen, war in etwa so groß wie die, dass er zum Mond flog. Anne hielt den Hörer von ihrem Ohr weg.
    »Vielen Dank, Dick! Du bist immer so lieb!«, schrie Judith Iver. »Aber mein Neffe ist da.«

    »In Ordnung«, schrie ihr Vater zurück. »Gute Nacht, Judith!«
    »Ihr Neffe«, sagte er angewidert, als Anne auflegte. »Dieser Nichtsnutz. Eines Nachts wird er ihr die Kehle durchschneiden, während sie davon träumt, dass aus ihm noch mal was Großes wird, die dumme Kuh.«
    Die zwei Seiten von Dick Navarre: bei anderen Leuten der charmante, distinguierte alte Herr, zu Hause ein unangenehmer alter Nörgler. Professor Navarre und Mr Hyde. Aber wenn Anne ihn seinen Bekannten gegenüber so beschrieben hätte, dann hätte man sie garantiert für gestört gehalten.
    Sie stand auf und gab ihm die Fernbedienung.
    »Ich gehe ins Bett«, sagte sie, während sie zum Schutz vor der nächtlichen Kälte und Mrs Iver das Wohnzimmerfenster schloss. »Hast du deine Tabletten genommen?«
    Er sah sie nicht an. »Ich habe sie vorhin genommen.«
    »Ach wirklich? Auch die, auf deren Packung ›Vor dem Schlafengehen einnehmen‹ steht?«
    »Der menschliche Körper weiß nicht, wie spät es ist.«
    »Klar. Mir fällt’s im Moment nicht ein, an welcher Uni hast du gleich noch mal nebenbei Medizin studiert?«
    »Deinen Sarkasmus kannst du dir sparen. Ich halte mich ständig über die aktuellen medizinischen Entwicklungen auf dem Laufenden.«
    Anne verdrehte die Augen und ging vom Wohnzimmer in die Küche, um ihm seine letzte Dosis Tabletten für heute zu bringen. Tabletten für sein Herz, seinen Blutdruck, Ödeme, Arthritis, seine Nieren, seine Arterien.
    Ich halte mich ständig über die aktuellen medizinischen Entwicklungen auf dem Laufenden. Was für ein Schwachsinn.
    Mit seinen neunundsiebzig Jahren verbrachte ihr Vater den Großteil seiner Zeit damit, mit seinen alten Golffreunden über Politik zu diskutieren. Wenn es dabei um Wanderarbeiter
gegangen wäre, hätte er behauptet, er halte sich über die aktuelle Einwanderungsgesetzgebung auf dem Laufenden.
    Anne hatte ihm seine Lügen noch nie abgekauft. Nicht mit fünf und auch nicht mit fünfundzwanzig Jahren. Sie hatte ihn immer als genau das gesehen, was er war - ein bösartiger, rücksichtsloser Egomane -, und er hatte es immer gewusst und ihr übel genommen.
    Sie liebten einander nicht. Sie mochten sich nicht einmal. Und sie taten auch gar nicht so, außer in der Öffentlichkeit - und auch dann nur widerwillig, soweit es Anne betraf. Dick, der begnadete Schauspieler, ließ jeden in der Stadt glauben, sie sei sein Augenstern.
    Auf die gleiche Weise hatte er ihre Mutter behandelt - in der Öffentlichkeit hatte er sie auf ein Podest gestellt, in den eigenen vier Wänden in den Staub getreten. Und betrogen hatte er sie auch noch. Aber aus Gründen, die Anne nie begriffen hatte, hatte ihre Mutter ihn bis zu ihrem Tod vor fünf Jahren und sieben Monaten geliebt.
    Mit sechsundvierzig Jahren hatte Marilyn Navarre ihren kurzen, qualvollen Kampf gegen den Bauchspeicheldrüsenkrebs verloren, weswegen Anne dem Schicksal immer noch gram war. Der Gesundheitszustand ihres Vaters verschlechterte sich von Jahr zu Jahr, dennoch hatte er einen Herzinfarkt, zwei Operationen am offenen Herzen und einen Schlaganfall überlebt. Er war im Koreakrieg verwundet worden, und 1979 hatte er ohne Kratzer einen Autounfall überstanden, bei dem mehrere Menschen ums Leben gekommen
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