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Schussfahrt

Schussfahrt

Titel: Schussfahrt
Autoren: N Förg
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sie
längst verklärt hatten. Wenn sie sich heute trafen, lud Gerhard nicht mehr zum
Kaffee, sondern in seinen Weinkeller ein – und wirklich nur des Weines wegen!
Nach langen Arbeitstagen tranken sie Barolo statt des Teenie-Asti und
dekantierten ihn kunstvoll. Sie verwendeten Riedelgläser statt Pappbechern, und
natürlich hatte Gerhard immer Ciabatta und Grana vorrätig. Hinterher gab es
Grappa von Poli, den Stoff, aus dem die Grappaträume sind.
    »Früher haben wir
Apfelkorn gesoffen«, sagte Gerhard jedes Mal grinsend, »wir sind richtig
spießige Snobs geworden.«
    »Stimmt!«, pflegte
Jo dann zu sagen. »Aber wir haben wenigstens kein Reihenhaus gebaut.«
    Jetzt lächelte
Gerhard Jo aufmunternd zu und schob sie vorsichtig zur Tür hinaus. Draußen
stand der von einer Mist-Eis-Schlamm-Mischung überzogene uralte Jeep vom
Anwander bereit; mit dem Polizei-Audi wären sie nicht weit gekommen.
    »Wohin, Jo?«, fragte
Gerhard sanft.
    »Den Ostertalweg
hinauf. Es gibt da den kleinen Parkplatz, wo der Forstweg zur Geißrücken Alpe
und zum Berghaus Blässe abzweigt, da sitzt er …«
    Wie das klang: Da
sitzt er. Nach einem Picknickausflug vielleicht.
    Die Mittagssonne
ließ Schneekristalle auf den offenen Feldern funkeln, die Temperatur lag knapp
über null. Es war ein perfekter Wintertag, so lebendig, hell und klar – kein
Tag für Tote. Als würde die Sonne das wissen, tanzte sie neckisch auf Rümmeles
Nase und gab den zwei Blutrinnsalen einen Hauch ins Violette.
    »Auweh!«, sagte der
Anwander, und »Pfft« entfuhr es Gerhard.
    Ein toter
schwäbischer Bauunternehmer in gelben Socken mitten im Schnee – das verlieh dem
Begriff »Gelbfüßler«, der wenig charmanten Beschreibung für Württemberger, eine
ganz neue Dimension.
    Gerhard breitete die
Arme aus. »Da können wir nichts mehr tun. Markus, sicher die Stelle ab und
bleib da! Wir fahren zurück und informieren die Mordkommission. An denen werden
wir hier nicht vorbeikommen.« Er schaute, als hätte er plötzlich Zahnschmerzen.
Die Kollegen in Zivil, die gerne auf Miami-Vice-Typen machten, waren ihm ein
Gräuel. Er zog sein Handy heraus und ließ sich in Kempten im Polizeipräsidium
durchstellen. Kühl und routiniert gab er Befehle und erklärte präzise, wo der
Anwander Hof zu finden sei.
    Der Jeep holperte
zurück zum Hof, wo Zenta geblümte Keramikteller mit feinen Haarrissen langer
Gebrauchsjahre auf den Tisch gestellt hatte. »Ihr miasset eabas easse!«
    Während des Essens
sprach keiner ein Wort. Jo stocherte in Zentas Krautwickeln und hing ihren
Gedanken nach. Woher war Rümmele gekommen? Ohne Schuhe, ohne Fahrzeug?
    Plötzlich wurde die
Stille durchbrochen von einem Röhren wie am Nürburgring. Der Anwander erhob
sich bedächtig, ging zum Fenster und seufzte: »Auweh.«
    Auch Jo ging zum
Fester. Sie sah einen schicken silbernen BMW 520i. Er war tiefer gelegt, mit Breitreifen und mit einer Lackierung versehen,
die so viel metallischer war, als es je eine von der Stange hätte sein können.
Der BMW hatte sich in der leicht
ansteigenden Auffahrt des Skilifts festgefahren. Der Fahrer gab hektisch Gas,
Schnee und Kiesel sprühten durch die Luft. Dann bekam der Wagen Bodenhaftung,
machte einen Satz nach vorne, trudelte und rutschte. Schließlich glitt er ganz
sachte seitwärts und wie in Zeitlupe in eine gewaltige Schneewächte.
    »Auweh!«, sagte der
Anwander noch mal.
    Jo beobachtete, wie
sich zwei Männer aus der Beifahrertür schälten. Der eine trat wutentbrannt
gegen den Reifen, der andere klopfte an seinen Hosen herum.
    Aber was hieß da
Hosen? Beinkleider aus feinstem Wildleder, zarte Lederschühchen, ein Kaschmir-Rolli
und eine Sonnenbrille, die jeden Sizilianer hätte alt aussehen lassen. Ein
Beau, alle Wetter!
    Gerhard und Jo
traten vor die Tür.
    »Volker Reiber,
Kriminalhauptkommissar, Kempten«, grüßte der Lederbehoste in Jos Richtung und
rollte das typische Augsburger R mindestens so schön wie seine Namensvetterin
Carolin. »Herr Weinzirl«, er nickte Gerhard militärisch zu.
    Gerhard atmete tief
durch: Der Reiber – ausgerechnet! Erst kürzlich war er aus Augsburg nach
Kempten versetzt worden. Hochgelobt vom einfachen Kommissar in die höheren
Sphären echter Kriminalistik. Er hatte von Anfang an bei den Kollegen auf der
Wahrung des unpersönlichen »Sie« beharrt. Er ging nie mal schnell mit auf ein
Bier. Er trank nämlich keins, nur Tee!
    Kein Wunder, befand
Gerhard. Wer mit dem Augsburger Hasenbräu aufgewachsen ist, kann schon
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