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Schule für höhere Töchter

Schule für höhere Töchter

Titel: Schule für höhere Töchter
Autoren: Amanda Cross
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empfanden. Sie mußten die ganze Gefühlsskala durchlaufen haben, angefangen von der Angst, sie aufzuregen, über sporadische und immer seltener werdende Phasen der Zuneigung bis hin zu Ungeduld, großem Mitleid und schließlich Gleichgültigkeit. Die Tatsache ihres Todes konnte daran nichts ändern; die Gefühle ihrer Kinder waren schon tot, als sie selber noch am Leben war.
    »Ich war in meinem Zimmer, hörte Dylan und das Baseballspiel und blätterte in ›Catch-22‹; ich hatte das Buch schon durch, als sie ins Zimmer stürzte. Ohne anzuklopfen, ohne alles. Ich habe sie trotz Dylan und Phil Rizzuto und der begeisterten Zuschauer im Hintergrund gehört. Man konnte sie sicher bis zum Battery Park hören.« Patrick wurde einen Moment still, als erinnerte er sich wieder mit schmerzlicher Klarheit an sie. »Ich werde nicht versuchen, ihre Worte oder ihren Tonfall zu wiederholen, aber der Sinn war, daß alle fortgegangen waren, sich niemand um sie kümmerte, Angelica sie nicht um Erlaubnis gefragt hatte, und ob ich wüßte, wohin sie gegangen sei; nie sei mein Großvater auf die Idee gekommen, mit ihr Bridge zu spielen, und so weiter und so weiter. Ich nehme an, Sie kennen so etwas. Sie fragte mich schließlich, ob ich wisse, wo Angelica sei, redete lang und breit darüber, daß ich es wußte, sie aber nicht, und wollte zu guter Letzt von mir hingebracht werden.«
    Patrick machte eine Pause und suchte nach einer Zigarette. Kate bot ihm eine von ihren an, die er lächelnd und mit dankbarem Nicken annahm. Es war offensichtlich, daß Patrick ungeheuren Charme besaß, wenn er es zuließ. Er ähnelte ziemlich seinem strengen Großvater, obwohl sein grimmiger Ausdruck von Spannungen herrührte, die viel schwerer zu verkraften waren als die Notwendigkeit, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und eine Familie zu ernähren; das zumindest vermutete Kate, denn sie selbst hatte weder das eine noch das andere je tun müssen.
    »Sie wissen doch alles«, sagte Patrick mit einem Lächeln. »Fahren Sie fort.«
    »Sie hat Sie dazu überredet, sie hinzubringen, nicht wahr? Aber zuerst sollten Sie sich eine Krawatte umbinden.«
    »Ich habe doch gesagt, Sie wissen schon alles. Schließlich habe ich ein Hemd angezogen, das schien mir einfacher, als mit ihr zu diskutieren – sie hörte ohnehin nie zu, ja wollte es nicht einmal – , aber als ich meine konservativste Krawatte umband, ein weißes Muster auf Grün, protestierte sie heftig und fand, ich sähe aus wie ein Hippie – ihre Standardbezeichnung für alle, die sich nicht bei Saks in der Fifth Avenue einkleiden.«
    »Nun ja«, warf Angelica ein, »diese Krawatte sieht aus wie psychedelische Spermatozoen vor einem Hintergrund von… «
    »In Ordnung«, sagte Patrick, »wir haben schon verstanden.« Aber er war offensichtlich froh darüber, daß Angelica versuchte, am Gespräch teilzunehmen, und alle grinsten einander freundlich an. »Alsooo, wie Angie sagen würde, ging sie in Großvaters Zimmer und holte mir eine von seinen Krawatten, womit er natürlich absolut nicht einverstanden gewesen wäre; aber es kommt nicht oft vor, daß man mit einer kleinen Geste gleich zwei Menschen ärgern kann. Sie bestand darauf, sie mir zu binden, was ich überhaupt nicht leiden kann, auch bei anderen nicht…«
    »Das Etikett ging ab, als sie sie Ihnen band. Sie hat es wohl in die Tasche gesteckt und weitergemacht.«
    »Ja, das war typisch. Sie war zwanghaft ordentlich. Das können Sie sich nicht vorstellen. Ständig hob sie irgend etwas vom Fußboden auf, auch wenn da gar nichts war. Ewig beklagte sie sich, wie schlecht saubergemacht würde, wie verdorben das Personal sei und daß niemand mehr arbeiten wolle – gerade sie, die seit einem Vierteljahrhundert keinen Finger mehr gekrümmt hat.«
    »Es wundert mich, daß die Angestellten nicht davongelaufen sind«, sagte Kate.
    »Nun, Großvater behandelt sie sehr gut, macht ihnen großzügige Geschenke und so weiter; sie lieben ihn, natürlich; das scheint irgendwie zur Mentalität von Hauspersonal zu gehören. Nach seiner Definition ist ein Liberaler ein Mensch, der sich um alles kümmert, außer um seine Frau und das Hauspersonal – Sie sehen, es paßt alles zusammen. Sie suchte einen Papierkorb, fand aber keinen, weil ich den als Basketballkorb benutzt hatte und der Boden herausgefallen war; sie jammerte deswegen noch eine Weile herum, dann hat sie das Ding wohl schließlich in ihre Tasche gesteckt. Wir sind also mit einem Taxi hingefahren. Dem
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