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Schuhwechsel

Schuhwechsel

Titel: Schuhwechsel
Autoren: Rosa Villas
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Stunde zu bleiben, aber bevor der Gottesdienst losgeht, packt mich die Panik. Mehr halte ich nicht aus und ich flüchte durch eine Baustelle nach draußen. Seltsam ist mein Verhalten schon, finde ich. Länger hätte ich es aber echt nicht ausgehalten. Ich bin der festen Überzeugung, dass mich Gott auch außerhalb einer Kirche findet. Ehrlich gesagt, glaube ich noch nicht einmal daran, dass diese Leben schaffende, ewige Energie, die wir „Gott“ nennen, überhaupt in einer Kirche zu finden ist. In den Kirchen dieser Welt sind wohl eher die Religionen beheimatet. Ich vermute Gott vielmehr in der ebenfalls Leben schaffenden Natur. Also draußen. Wie gesagt: Gott braucht keine Religionen.
    Zügig hole ich meinen Rucksack aus dem Depot, setze mich in ein Taxi und fahre zum Busbahnhof. Dort löse ich ein Ticket nach Finisterre und warte auf den Bus.
    Nach endlosen Umwegen erreichen wir endlich Finisterre. „Finis Terre“, das Ende der Welt.
    Die erste Herberge, in der ich nach einem Bett frage, nimmt nur Pilger auf, die den Weg bis hierher gepilgert sind. Diese Pilger bekommen nochmal eine Extraurkunde, die viel bunter und schöner ist als die von Santiago, finde ich und beschließe zum wiederholten Male, diesen Weg noch einmal zu gehen.
    In einer anderen Herberge komme ich schließlich unter. Das Wetter ist wieder schön und direkt so am Meer zu sein, hat auch was.
    In einem Restaurant am Hafen esse ich zu Abend, dann gehe ich zurück in die Herberge, dusche und lege mich ins Bett. Ich bin totmüde. Aber nicht müde genug. Meine Füße wollen gehen und irgendwie treibt es mich wieder raus aus dem Schlafsack. Ich lasse mich treiben, ziehe mich wieder an und wandere die restlichen 3,5 Kilometer ans Ende der Welt, auf eine steinerne Landzunge, hoch über dem Ozean.
    Hier, wo vor langer Zeit ein keltischer Sonnentempel stand, in dem die Kelten ihre Rituale und religiösen Feste abhielten. Hier, wo heute die Pilger ihre Klamotten verbrennen, weil sie das wahre Ende erreicht haben, hier habe ich das Gefühl, angekommen zu sein. Hier spüre ich die Verbindung mit Gott. Mehr als in jeder Kathedrale oder Kirche.
    Pilgergottesdienst um 12.00 Uhr in der Kathedrale
    Finisterre - Ende der Welt
    Ende des Jakobsweges
    Der Weg des Apostel Jakobus mag in Santiago enden, aber der Weg der Milchstrasse endet hier.
    Ich bin völlig ergriffen und es wallt und bebt in mir. Gott ist das Leben und er ist überall dort, wo das Leben lebt. Lebendig in seiner natürlichsten und ursprünglichsten Form. Das Leben lebt drinnen und draußen.
    Das Leben lebt.
    Die Liebe liebt.

Tag 14:
    von Finisterre zurück nach Santiago de Compostela
    Der letzte Tag ist angebrochen, ich sitze wieder am Hafen in einem Piratencafe und überlege, ob ich mich nun auf zu Hause freue oder nicht. Irgendwie schon. Ich bin gespannt, was der Jakobsweg mit mir gemacht hat. Ob und in welchen Bereichen er mich verändert hat. Was sich in meinem Leben verändern wird.
    Mehr Raum für mich und meine persönlichen Freiheiten, das nehme ich mir fest vor und das geht vermutlich leicht. Mein Leben ist nicht schlecht. Im Gegenteil. Ich hatte immer sehr viel Glück bei allem. Übernatürliches Glück. Man könnte glauben, Gott liebt mich.
    Doch, ja. Ich freue mich auf Zuhause. Ich freue mich auf meine Kinder und auf meinen Geliebten, auf unsere Tiere und mein Zuhause. Ich habe ein schönes und liebevolles Zuhause. Das ist schön.
    Gerade jetzt, in diesem Moment, wird mir so richtig bewusst, dass ich ein sehr schönes Zuhause habe. Ein gutes Zuhause, in dem ich mich geborgen und geliebt fühle. Das war mir nie so bewusst.
    Seltsam.
    Viele Menschen auf dieser Welt hätten sehr gerne ein Zuhause. Ich wollte auch immer eines. Ein Zuhause, in dem ich machen kann was ich möchte und in das ich gerne gehe. Warum habe ich nie bemerkt, dass ich schon lange eines habe? Früher, als kleines Kind, war mein Zuhause kein guter Ort. Für mich. Draußen, in den Wäldern und Wiesen war ich frei. Dort wurde ich nie geschimpft und konnte machen was ich wollte. Dort gab es keine Kontrollen und keine Schule und keine tratschenden Nachbarn. Draußen war ich frei und fühlte mich sicher.
    Es war damals so. Hätte ich nicht genau diese Kindheit gehabt wie ich sie hatte, wäre ich nie so mutig in ferne Länder gefahren. Hätte ich mich Zuhause sicher gefühlt, wäre ich dort geblieben. Da ich mich aber draußen sicherer fühlte, konnte ich draußen leben. Im Nachhinein bin ich echt froh darüber. Das Leben
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