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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr
Autoren: Robert Menasse
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schön vorgestellt, wie ich dann gefragt werde, ob ich mit Dir verwandt sei, und ich dann sagen kann: Ja, ich bin seine Mutter.
    Diesen Absatz schrieb sie dann doch nicht. Roman konnte bei solchen Gedanken ganz ungehalten werden, er antwortete dann immer ganz schroff oder, noch schlimmer, wochenlang gar nicht.
    Das Vorhaben. Davon zu berichten, fiel ihr schwer. Sie konnte es nur, indem sie ihren Trotz und ihr Aufbäumen gegen die Welt nun auch gegen ihren Sohn richtete, mag er reagieren wie er will. Sie schrieb drauflos, heraus damit, aber sie hatte dabei die Empfindung, als würde ein Motor, der auf Hochtouren läuft, plötzlich ein paarmal aussetzen. Was war das? Nichts. Es raste immer weiter. Sie schrieb, daß sie gekündigt hatte. Daß sie ihre Eigentumswohnung zum Verkauf angeboten hatte. Daß auch Richard gekündigt hatte. Daß sie nun in seiner Wohnung wohnten, provisorisch, denn sie bereiteten ihre Übersiedlung aufs Land vor. Daß sie einen Bauernhof mit zehn Joch Grund gekauft hatten, daß sie biodynamische Landwirtschaft und Viehzucht betreiben wollten. Schafe und Ziegen, ungespritztes Getreide und Gemüse.
    Bin ich, wie gesagt wurde, eine Aussteigerin? Nein, ich bin eine Heimkehrende, weil ich zurückkehre zu den Grundlagen allen menschlichen Daseins – zu einem sinnvollen und gesunden Leben in Übereinstimmung mit dem natürlichen Kreislauf der Natur. Sie strich natürlichen wieder durch, Kreislauf, sie wußte, daß Roman diese Entscheidung nicht verstehen und akzeptieren würde, und jeder Versuch, es ihm zu erklären, machte es noch schlimmer. Ist nicht alles im Leben ein Kreislauf, der – nein. Aus der Natur können wir lernen, daß das Leben – nein. Sie strich den vorangehenden Absatz durch, sie wird den ganzen Brief neu abschreiben müssen. Bin ich, wie gesagt wurde, eine Aussteigerin? Ja! Man mag es so nennen und lächerlich finden in meinem Alter, aber ich sage immer: Man ist so alt, wie man sich fühlt! War er nicht immer stolz darauf gewesen, eine so junge Mutter zu haben? Sie lächelte. Aber das Lächeln wirkte in ihr nicht fort, sie spürte es nur außen auf ihrem Gesicht.
12.
    In den deutschen Buchhandlungen und in Antiquariaten kaufte Roman zahllose Bücher, die er zu Hause ungelesen in das Regal stellte. Er wollte nicht lesen. Er hatte sie schon gelesen. Er wollte sehen, was er jemals gelesen hatte. Er hätte sogar die Kinderbücher wieder gekauft, an die er sich erinnern konnte. Er wollte, vor dem Regal stehend, von den Buchrücken Signale empfangen, die ihm sagten, was er möglicherweise in seinem Kopf hatte.
    Was sonst in diesem Haus angesammelt war, schien wie mit einem unsichtbaren Firnis beschichtet, der seinen Blick abgleiten ließ. Nicht einmal Befremden ließ sich mehr daran festmachen.
    Das ferne Rauschen der Stadtautobahn, das er vordem als akustisches Zeichen seiner urbanen Existenz genossen hatte. Der beim geöffneten Fenster hereinwehende Geruch, eine Mischung aus vermoderndem Laub, Abgasen und Kochgerüchen, also auch Abgasen. Überhaupt Gerüche. Der Alkoholgeruch in seinem Wohn- und Arbeitszimmer. Die Putzfrau wischte alles mit Reinigungsalkohol. Der Propangasgeruch in der Küche. Der muffige Geruch im Schlafzimmer, Folge der hohen Luftfeuchtigkeit, die vom Gewand in den Schränken aufgesogen wurde, das, auch wenn es nicht benutzt wurde, regelmäßig gewaschen werden mußte, weil es sonst verschimmeln würde. São Paulo, das waren für ihn bestimmte Gerüche. Oder Lichtverhältnisse. Vor allem diese flirrende Diesigkeit, die blendete und zugleich etwas Dämpfendes hatte. Ein Licht, das auf der Stadt lag wie Zellophan. Es gelang ihm nicht, dieses Licht mit seinem Camcorder einzufangen.
13.
    Der Umzug auf den Bauernhof. Ein Triumphzug. Es war wie in diesen Filmen, wo jemand mit einem großen Wagen in ein kleines abgeschiedenes Dorf kommt, und die Menschen stehen am Straßenrand in Trauben beisammen und gaffen, und ein paar Kinder laufen neben dem Wagen her – sie hatte geradezu grimassenhaft gelächelt, durch übertrieben deutliches Kopfnicken hinausgegrüßt, nur ja gleich freundlich sein, zu diesen Menschen, bei denen man jetzt leben wird. Konzentriert lenkte Richard seinen Schlitten , einen liebevoll gepflegten Chevrolet, durch die Menge, er liebte große Autos, die in den Scheibenwischern mehr Kraft hatten als die Spuckerl unter der Motorhaube. Wenn jemand besonders neugierig herstarrte, hineinzustarren versuchte durch die getönten Scheiben, dann winkte Anne sogar,
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