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Schoene Bescherung

Schoene Bescherung

Titel: Schoene Bescherung
Autoren: Sobo Swobodnik
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bisschen Leben quasi. Die Welt kannten die nur aus dem Fernsehen, und da auch nur erstes und zweites Programm.
    »So kriagsch nie a Weib!«, hat die Schwägerin plötzlich gesagt und laut gelacht. Und alle anderen haben mitgelacht. Der Vater, die Mutter, Bruder, Cousine, Cousin, Oma, Opa, alle. Nur Plotek nicht. Plotek hat nicht gelacht, dafür hat er gesagt – ganz leise, dass die anderen schon gut zuhören mussten, um es überhaupt zu verstehen: »So eine blöde Fotze wie dich möchte ich nicht mal geschenkt!« Haben sie es dann doch verstanden. Und nicht mehr gelacht. Keiner, Vater nicht, Mutter nicht, Bruder, Cousine, Cousin, Oma, Opa – niemand. Der Schwägerin verging nicht nur das Lachen, auch die Sprache schien ihr abhanden gekommen zu sein. Zitternd am ganzen Körper und mit feuerrotem Kopf sprang sie vom Sofa auf und stotterte vor sich hin: »Du . . . du . . . du . . . du . . .«
    Dann wollte sie sich auf Plotek stürzen, blieb aber mit der Strickweste an einem Ast vom Weihnachtsbaum hängen, kam ins Wanken, fiel und riss den Baum mit sich in die Tiefe. Unterm Baum und von Lametta und Kugeln begraben schrie sie endlich: »Du spensch doch, du bisch doch verrickt! Des isch a Verrickter, a Spenner, der gehört nach Wennada!«
    Jetzt muss man wissen, dass sich in Winnenden (ostalb-schwäbisch: Wennada) unweit der Landeshauptstadt die der Ostalb nächste Nervenheilanstalt befand und alle, die in Lauterbach und um Lauterbach und um Lauterbach herum den traditionellen dörflichen Kodex verließen, flugs gedanklich nach Wennada geschickt wurden.
    »Lass di du di du du du di di di hier bloß nemme blicka!«, kreischte die Schwägerin, dass die Worte ganz gemein übereinander herfielen und die Stimme sich noch gemeiner überschlug. Hat er seitdem auch nicht mehr, und mehr noch, Plotek hat sich ein für alle Mal geschworen: Nie wieder Ostalb! Nie wieder Familie! Nie wieder Weihnachten! Nirgends.
    Das wusste Agnes selbstverständlich alles nicht. Wie auch, Plotek hat es ihr ja nie erzählt.
    Natürlich hätte er es ihr sagen wollen – jetzt. Hat es aber nicht sagen können. Weil da erstens kein Platz war zwischen ihren Worten. Und es zweitens bei Plotek vom Gedanken zum Wort so weit ist wie für andere zu Fuß nach Canossa, hin und zurück. Also hat er nichts gesagt, außer vielleicht »Hm!« oder »Na ja!« Und hin und wieder den Kopf geschüttelt, mit der Schulter gezuckt und gelacht.
    »Lach nicht so. Für mich ist Weihnachten mit meiner Familie nun mal wichtig.
    Und ich will, dass du verdammt noch mal mitkommst!«
    Wieder Schulterzucken von Plotek und böser Blick von Agnes.
    Irgendwie merkte Agnes dann mit der Zeit und den vielen Worten auch, dass bei Plotek damit nicht weiterzukommen war – ob mit oder ohne jenssche Rhetorik. Hat sie es dann zwischenzeitlich eben mit weniger Worten versucht – quasi nonverbal oder Rhetorik auf Abwegen. Immer wenn Plotek gar nichts mehr sagen konnte, also nicht einmal mehr »hm« oder »na ja«, auch kein Schulterzucken oder Kopfschütteln, ist Agnes dann ganz nahe an ihn herangerutscht. Sie hat von da an dann auch nichts mehr gesagt. Brauchte sie auch nicht. Weil, Gesten und Blicke sagen manchmal mehr als Worte – mit oder ohne Rhetorik jetzt. Agnes ist Plotek langsam mit der Hand über sein verschwitztes Gesicht gefahren, dann den Hals entlang zum Hemd, über die Knopfleiste hinunter bis zur Gürtelschnalle. Von da an ging es dann ganz schnell: Schon ist Plotek auf der Tischplatte gelegen und beide sind sie über den Tisch gerutscht – wer da nun wen gezogen hat, keine Ahnung. Was da der alte Rhetorik-Jens in seinem verschnarchten Tübingen dazu gesagt hätte – auch keine Ahnung. Vielleicht: einmal so, dann so, dann wieder ganz anders. Aber im Prinzip geht es immer um dasselbe: These, Antithese, Synthese – keine Synthese bei Agnes und Plotek jetzt. Dafür ein verzweifeltes »Du sturer Bock, du!« von Agnes.
    Natürlich hatte sie mit dieser Einschätzung wieder mal Recht – dann auch wieder nicht. In so einer Beziehung läuft eben nicht alles nach den Regeln eines Rhetorik-Seminars oder nach den newtonschen Fallgesetzen. Zwischen den Geschlechtern rinnt auch mal das Wasser bergauf. In einer Beziehung sogar wie ein Sturzbach nach oben. Na ja, Beziehung. Lange war Plotek ja mit Agnes noch nicht zusammen. Hätte man Agnes gefragt, ob sie überhaupt zusammen. . ., hätte sie gesagt: »Wir sind ein Paar.« Würde man Plotek fragen, müsste er lange nachdenken und würde
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