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Schöne Bescherung (German Edition)

Schöne Bescherung (German Edition)

Titel: Schöne Bescherung (German Edition)
Autoren: Ian Rankin
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weder für Fußball noch für Musik. Er baute Modelle – Galeonen, Rennautos, so was. An seinen Fingerspitzen hingen Klebstoffreste, die er mit Inbrunst abpulte. Er war erkältet und schniefte unaufhörlich. Siobhan hatte es mit dem Radio versucht, aber anscheinend gefiel ihm nichts außer dem Klassiksender, und dort hatte er dann gleich bei den ersten drei Stücken mitgesummt, sodass Siobhan die Musik schnell wieder abgedreht hatte. Im Wagen müffelte es: nach dem Käse-Zwiebel-Sandwich, das Wilson von zu Hause mitgebracht hatte; nach den Chips mit Schnittlauch– und Sour-Cream-Geschmack, die er an der Tankstelle geholt hatte. Immer mal wieder versuchte er mit der Zunge oder einem Fingernagel Krümel zwischen den Zähnen herauszupulen, wobei er schmatzende Geräusche machte.
    Sie parkten in einer Vorstadtstraße. Sie war gesäumt von Autos und Kleintransportern, zwischen denen sie kaum auffielen. Sie befanden sich zirka sechzig Meter von John Kerrs Bungalow entfernt. Die Familie war zu Hause – die Ehefrau Selina, sowie Sohn und Tochter, beide im Teenageralter. Alle außer John Kerr selbst. Kerr war vor zwei Tagen aus dem Gefängnis geflohen. Er hatte wegen Betrug, Steuerhinterziehung und ungefähr einem Dutzend weiterer Finanzdelikte gesessen, aber ohne seinen Arbeitgeber mit reinzuziehen. Kerr war das buchhalterische Genie hinter Morris Gerald Caffertys Unternehmen. Cafferty hatte während der vergangenen Jahrzehnte Edinburgh mehr oder weniger unter seiner Kontrolle gehabt. Wenn es mit einer illegalen Operation Geld zu verdienen galt, stieß man früher oder später auf Caffertys Namen. Doch trotz einer ausführlichen Aussage vor Gericht und jeder Menge Fragen und Schlussfolgerungen, hatte Kerr die Klappe gehalten. Dann war er, während er im Westen der Stadt gemeinnützige Arbeit verrichtet hatte, einfach aufgestanden, weggegangen und nicht wieder zurückgekommen.
    Siobhan hatte die Akten bei sich. Sie nahmen den halben Rücksitz ein, und immer mal wieder griff sie nach einem der Ordner und blätterte ihn durch. Kerr war zu zweieinhalb Jahren verurteilt worden, doch bei guter Führung würde er nur neun oder zehn Monate absitzen müssen. Ein Vorzeigehäftling, hieß es in dem Bericht. Er half anderen Insassen bei einem Alphabetisierungskurs; er arbeitete in der Bibliothek; mied ansonsten die Gesellschaft der Mitgefangenen. Natürlich traute sich niemand an ihn heran – der Ruf seines Arbeitgebers schützte ihn. Also warum hatte er sich aus dem Staub gemacht? Die naheliegendste Antwort war: wegen Weihnachten. Vor März würde er nicht entlassen werden. In den Akten lagen auch Fotos. Kerr spielte den Weihnachtsmann in einem Altenheim; Kerr – auch hier wieder als Weihnachtsmann verkleidet – spendet einem Hospiz der Stadt einen Weihnachtsbaum; Kerr wie er einen Sack voller Spielsachen in eine Sonderschule bringt …
    Siobhan starrte durch die Windschutzscheibe. Der Bungalow wirkte eher bescheiden. Der Wagen in der Auffahrt war ein fünf Jahre alter Mittelklasse-Jaguar. Die Frau arbeitete in einem Ärztezentrum am Schalter. Die Kinder besuchten Privatschulen, aber das war in Edinburgh alles andere als ungewöhnlich. Für einen Mann, der zum Zeitpunkt seiner Festnahme zwei Millionen Pfund auf verschiedenen Konten liegen hatte, war das kein besonders verschwenderischer Lebensstil. Siobhan betrachtete noch einmal sein Foto. Kerr war fünfzig, klein und übergewichtig. Schon deshalb würde er zur Vordertür kommen. Das Grundstück war von einem knapp zwei Meter hohen Zaun umgeben, der von einer dichten Hecke überwuchert war. Niemand konnte sich vorstellen, dass Kerr in seinen Garten kletterte. Er würde ans vordere Tor kommen und über den Fußweg zur Tür gehen.
    Weil Weihnachten war. Weil ihm Weihnachten ganz offensichtlich etwas bedeutete. Siobhan hatte Wilson bereits gefragt, ob er Pläne für den großen Tag habe. Er wolle zu seinen Eltern fahren, die lebten in Peterhead. Ein paar alte Schulfreunde treffen. Der zweite Feiertag sei bereits völlig mit Verwandtschaftsbesuchen verplant, anscheinend handelte es sich um eine große Familie. Siobhan hatte nur ihre Mum und ihren Dad, und die lebten in England. Sie konnte sie überraschen, aus heiterem Himmel bei ihnen auftauchen, aber sie wusste, das würde sie nicht machen. Sie musste Rebus besuchen, aufpassen, dass er in kein Loch fiel. Ihn ein bisschen aufmuntern. Er würde sie vermissen, wenn sie nicht kam.
    Sie blickte auf die Uhr auf dem Armaturenbrett. Noch
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