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SCHÖN!

SCHÖN!

Titel: SCHÖN!
Autoren: Rebekka Reinhard
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Frage des »richtigen Maßes« sei. Die Pythagoreer sind die Ersten, die diese bis heute einflussreiche Theorie im ausgehenden 5 . Jahrhundert v. Chr. entwickeln: Schönheit beruht für sie auf der Wahl der Proportion und der rechten Anordnung der einzelnen Teile zu einem stimmigen Ganzen. Das Gesetz des Schönen liegt in der Mathematik. Was schön ist, lässt sich in exakten Zahlenverhältnissen ausdrücken – wie der harmonische Klang von Tönen und die Proportionen der Intervalle in der Musik, die Symmetrie in der Architektur oder die Ordnung des Kosmos überhaupt.
    Auch der spätantike römische Architekt Vitruv (ca. 8 5 – ca. 15 v. Chr.) beruft sich auf diese Theorie, wenn er schreibt, dass die Schönheit von Bauwerken, Skulpturen und Gemälden von den richtigen Längen-, Breiten- und Höhenverhältnissen abhänge. Das Gleiche gilt laut Vitruv auch für die Natur, die »den menschlichen Körper so schuf, dass der Schädel vom Kinn bis zum oberen Teil der Stirn und dem Haaransatz ein Zehntel der Körperlänge misst«.
    Der neuplatonische Philosoph Plotin ( 20 5 – 2 70 n. Chr.) fügt dem noch etwas hinzu. Für ihn besteht Schönheit nicht nur in der Proportion und der Harmonie einzelner Teile. Sie liegt ganz entscheidend auch im Glanz des Lichts, des Goldes oder der Sterne. Außerdem glaubt Plotin, dass nur ein moralisch geläuterter Mensch, der gleichsam von innen heraus strahlt, Zugang zum Schönen haben kann: »Nie hätte das Auge jemals die Sonne gesehen, wenn es nicht selber sonnenhaft wäre; so kann auch eine Seele das Schöne nicht sehen, wenn sie nicht selbst schön ist.«
    Damit steht seine Theorie ganz in Einklang mit der kalogathia, der Lehre von der Einheit des Schönen, Guten und Wahren.
    Plotins Auffassung, dass Schönheit in der Zweiheit von Ebenmaß und Glanz liege, prägt die christliche Philosophie, die Theologie und die Kunst(theorie) des Mittelalters ebenso stark wie die pythagoreische Lehre. Davon zeugt auch die triumphale Lichtästhetik gotischer Kathedralen wie die von Reims oder St. Denis bei Paris, die für die vollkommene und ewige Schönheit Gottes steht.
    In seinen berühmten Bekenntnissen schildert der Kirchen vater und Philosoph Augustinus ( 354 – 430 n. Chr.), wie sehr sich die lichte Schönheit Gottes für ihn von weltlichen Genüssen unterscheidet – und wie sehr sich in ihr dennoch Sinnlichkeit und Spiritualität vermischen:
    »Nicht Körperschönheit und vergängliche Zier, nicht den Strahlenglanz des Lichts, so lieb den Augen, nicht köstlichen Wohllaut so vieler Instrumente, nicht den süßen Duft von Blumen, Salben und Spezereien, nicht Manna und Honig, nicht Glieder, die zur Umarmung locken – nein, das liebe ich nicht, wenn ich dich liebe, meinen Gott. Und doch ist’s eine Art von Licht, von Stimme, Speise, Umarmung meines inneren Menschen.«
    Das Schöne in der Kunst
    Die Lehre von den richtigen Proportionen mit ihrer vernunftbetonten Formel »Maß, Form und Ordnung« (Augustinus) bleibt auch für den Schönheitsbegriff der Renaissance zentral. Vom 15 . und 16 . Jahrhundert an sind es mehr Künstler und Dichter als Philosophen, die sich über das Schöne Gedanken machen. Für sie ist Schönheit nicht mehr nur einfach eine Eigenschaft der Natur, sondern ein Ideal, das in der Kunst zu finden ist. Von nun an soll sich die Wirklichkeit an der Kunst messen lassen, und nicht mehr die Kunst an der Wirklichkeit.
    Vitruvs Schriften über die Baukunst sind grundlegend für die von den Architekten und Kunsttheoretikern Filippo Brunelleschi ( 1377 – 1446 ) und Leon Battista Alberti ( 1404 – 1472 ) entwickelte sogenannte Zentralperspektive: Nach Alberti ist ein Gemälde ein offenes Fenster in einen perspektivisch geordneten Raum, gleich, ob es sich um die Darstellung eines Gebäudeinneren oder um ein Porträt handelt. Alberti besteht darauf, dass man sich in der Malerei nicht auf die exakte Nachahmung der Realität beschränken dürfe, sondern diese vom subjektiven Blick des Betrachters aus ordnen müsse. In jedem Fall soll die Natur mit dem, was subjektiv als schön anmutet, bereichert werden:
    »(Es wird dem Maler) gefallen, nicht nur allen Teilen Ähnliches wiederzugeben, sondern darüber hinaus Schönheit hinzuzufügen, denn in der Malerei ist Liebreiz nicht weniger vergnüglich als erforderlich. Demetrius, dem Maler der Alten, gelang es nicht, höchsten Ruhm zu erwerben, weil er viel mehr darauf erpicht war, die Dinge der Natur nachzuahmen, als sie schön zu
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