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Schneegeflüster

Titel: Schneegeflüster
Autoren: Hera Lind , Rebecca Fischer , Steffi von Wolff , Andrea Vanoni
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warf. Ein Schauder lief über seinen Rücken, als Irina ihr wunderbar langes Bein durch den Schlitz des Sternenkostüms ausstellte. Seidiger noch als die silbrige Robe war Irinas Haut und weicher noch als die Sünde selbst.
    »Sterne, die im Himmel fliegen, bringen Kummer, lieber Schatz.«
    Er hörte Irinas glockenreine Stimme, die das ausverkaufte Moulin Rouge bis in den letzten Winkel mit dieser unverwechselbaren Mischung von unschuldig-naiver Klarheit und verruchtem russischen Timbre erfüllte. Die drei Minister in der ersten Reihe waren vom Zauber der Stimme noch mehr gebannt als von der Rundung der kaum verhüllten Brüste. Nur wegen dieser Herren im Publikum musste Jérôme eine Gnadenfrist einräumen.
    »Um im Glück dich einzuwiegen, hast du auf der Erde Platz!«
    Jérôme traf Irinas Liedzeile wie bitterböser Hohn. Sein Glück war zerbrochen. Die Spaziergänge in Versailles, die zufälligen Begegnungen beim Souper im La Coupole … Irinas heimliche Blicke … die kleinen Billets in der Bar zum Petit Sou . Nichts als Berechnung, um ihn zu umgarnen. Wie auch die hingeworfenen Andeutungen: Mit Veilchen machen Sie mir immer eine Freude … Beim ersten Tête-à-tête:
Wissen Sie, ich liebe die klassische Oper … Die kleinen Wünsche, wenn sie von einer Tournee zurückkehrte: Ein Frühstück am Meer in Deauville wäre jetzt ein Traum, ich bin so erschöpft, mon bijou …
    Jérôme riss sich von der Bühne los, wo Irina zwischen künstlichen Wolken schwebte, und niemand hätte sagen können, wie sie das machte.
    An den Türen warteten seine Leute von der Militärpolizei als Saaldiener getarnt. Die anderen bewachten die Ausgänge des Moulin Rouge . Jérôme schloss die Augen, verdrängte den Text ihres Liedes, überließ sich, so sehr er sich dafür verachtete, noch einmal dem schmeichelnden Gesang dieser Sirene. Keine Frau hatte ihm je mehr Wonne in ihren Armen geschenkt als diese Russin, hatte ihn so in ihren wunderbaren blonden Strähnen wühlen lassen, ihn so zu den äußersten Ufern des Eros geführt.
    Jérôme schluckte, als hoher Marineoffizier durfte er sich nicht so weit gehen lassen, hier in der Öffentlichkeit nasse Augen zu bekommen. Hatten ihn gute Freunde nicht gewarnt, gar beschworen? Eine Tänzerin zweifelhafter Abstammung mit Verehrern aus höchsten Kreisen, die ständig unterwegs ist - was wäre eine bessere Tarnung? Er hatte es nicht glauben wollen. Bis heute Mittag. Da hatte die Abwehr einen Kurier abgefangen. Nur Irina Lasarewa konnte die Notizen zur Marineplanung aus seinem privaten Schreibtisch gestohlen haben. Die Wahrheit zerschmetterte ihn fast: Die Frau, die er abgöttisch geliebt hatte, war eine abgefeimte Spionin gegen Frankreich! Einen Dolch gegen sich selbst zu richten, um seine Ehre wiederherzustellen, verbot ihm der Abwehrchef. Wenn es ihm gelang, Irina ohne Aufsehen zu verhaften, würde man seine Verfehlung vertuschen.

    Auf der Bühne flirrten die weißen Federn des falschen Sterns von Bethlehem. »Warum hast du mir das angetan?«, flüsterte Jérôme tonlos.
     
    Nicht einmal besondere Mühe hatten sich die Franzosen gegeben. Trotz der roten Joppen des Moulin Rouge bemerkte Heinrich die Polizisten sofort. Er nutzte den Moment, in dem der Saal tobte, das Publikum Irina zujubelte. So weit wie möglich lehnte er sich über den roten Samtrand seiner Loge und pfiff auf beiden Fingern. Im schwarzen Cut würde er nicht auffallen, viele einsame Diplomaten versüßten sich den Weihnachtsabend im berüchtigten Moulin Rouge bei der frivolsten Revue Europas. Heinrich pfiff erneut in die abebbende Kaskade des Applauses hinein. Sein Zeichen. Mit diesem Da-Di-Da hatte er es vor gut einem Jahr gewagt und Irina in der Auffahrt der Bellheims in Berlin-Grunewald schamlos hinterhergepfiffen.
    Die Federn zuckten. Und schon verbeugte Irina sich noch einmal nach allen Seiten. Heinrich war sicher, dass sie ihn gehört hatte und wusste, dass er ihre Abmachung nicht ohne Grund gebrochen hatte. Der Kurier war nicht in der Botschaft erschienen, Irina war in höchster Gefahr. Lassen Sie die Spionin fallen, wenn sie verbrennt. Heinrich hatte keinen Moment gezögert, den Befehl zu ignorieren. Es war ihm egal, dass er sie zunächst nur im Auftrag des Außenamtes verführt und ihre Abenteuerlust für geheime Treffen im Nachtexpress oder beim Roulette in Monte Carlo ausgenutzt hatte. Bald hatte ihn ihre Gerissenheit bei den geheimen Botschaften fasziniert. Irina war so ungewöhnlich lebhaft und begabt: ein
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