Schmusemord
Ehe; die erste Frau ist gestorben, die zweite spricht nur Gutes über ihren Ex-Mann.«
Hermine seufzte und zog Daniela mit sich ins Haus; über die Schulter sagte sie: »Solche Leute gibt’s nicht; im richtigen Leben werden die gekreuzigt oder gehen vor der Entmündigung freiwillig ins Kloster. Komm, Dany, ich mag nicht mehr zuhören.«
»Ich auch nicht.« Matzbach stand auf. Unter zusammengezogenen Brauen starrte er auf Yü hinab. »Ich finde, du warst schon besser im Aushecken von Lebensläufen. Kein Wort glaub ich dir davon, hörst du?«
Yü blieb sitzen; sein Lächeln hätte man heiligmäßig nennen können. »Edler Freund«, sagte er sanft, »es bricht mir das Herz, aber keine Silbe von alledem ist erfunden; alles stimmt. Ich mag es doch selbst kaum glauben.«
»Komm, folgen wir den Mädels; da gibt’s Whisky. Und beim Whisky können wir die Unstimmigkeiten sortieren.«
»Was für Unstimmigkeiten?«
»Später; komm schon.«
Im Hausflur nahm er Yüs Arm und sagte leise: »Laß mich raten. Was die Überraschung angeht, meine ich.«
Yü grinste. »Das errätst du nicht.«
»Ah bah. Ich hab’s schon; wetten?«
»Das würde mich verblüffen.«
»Wenn du dumm rumreden willst, bis er oder sie kommt, kann das nur heißen, es ist jemand, der möglicherweise helfen kann oder soll und deshalb die Geschichte, die richtige, meine ich, mithören sollte. Richtig?«
Yü hob stumm die Schultern.
»Das schränkt die Auswahl ein. Ferner muß es sich um jemanden handeln, den wir alle kenne – alle hier, meine ich; sonst wär’s ja keine richtige Überraschung für alle. Außerdem muß es einer sein, der Grund hat, dich anzurufen. Und einer, mit dem hier wirklich keiner rechnet, also nicht etwa jemand aus Bonn oder Köln.«
Inzwischen hatten sie den Eingang zu Hermines Atelier erreicht. Unter dem Türsturz sagte Yü:
»Nicht schlecht; du verblüffst mich. Und? Wer ist es?«
»Wir wollen doch die Überraschung wenigstens teilweise genießen, was?« sagte Matzbach; er näherte seinen Mund dem linken Ohr des Chinesen und flüsterte einen Namen.
»Treffer«, sagte Yü matt. »Hätt ich nicht gedacht.«
»Was wollt ihr denn hier?« Hermine hielt eines ihrer Schnitzmesser wurfbereit in der Rechten.
Daniela hatte sich auf die Fensterbank gehockt und beobachtete die Sargbar, als ob sie damit rechnete, dort eine Knochenhand mit Sense oder gefülltem Glas auftauchen zu sehen.
»Wir wollten die zwei Ungereimtheiten des Märchens bereden«, sagte Matzbach. »Ah, und da kommt die Überraschung.« Mit dem Kopf deutete er zum Innenhof, wo ein schepperndes Dieseltaxi (so hörte es sich jedenfalls an) laut bremste und sich beim Aussteigen des Passagiers zu schütteln schien. Vielleicht würgte es ihn aus.
»Ich laß mich überraschen und kuck nicht aus dem Fenster.« Hermine drehte sich so, daß sie mit dem Rücken zum Innenhof stand. »Was für Ungereimtheiten hast du denn in diesem ganz und gar reimlosen Märchen gefunden?«
Matzbach wies auf die halbfertige Holzbüste. »Der da soll sein Konterfei zum Geburtstag kriegen, nicht wahr? Zum Sechzigsten, wie ich hörte. Elias Jüssen ist aber Jahrgang vierundzwanzig, folglich, da wir anno fünfundneunzig haben, zu alt für den Sechzigsten. So daß ich mich frage: Wo bleibt der Altersunterschied?«
»Ah«, sagte Yü. »Da ist was dran.«
»Freut mich, daß du das sagst. Zweitens – ah nein, erstens. Die Frage des Startkapitals. Wo hatte Jüssen die Knete für seine erste Caritasnummer her?«
»Ih«, sagte Yü. »Di ist wis drin.«
»Ferner habe ich mich auch ein bißchen umgehört und dabei festgestellt, daß der Mann, der den guten Czerny in der Kneipe totgeschlagen hat, gar nicht für Elias Jüssen arbeitet, sondern …«
Jemand hustete theatralisch auf dem Gang zwischen Wohntrakt und Atelier. Dann tauchte eine kleinwüchsige Person auf, mit ungeheuer breitem Grinsen.
Daniela stieß einen Ouieklaut aus und rutschte von der Fensterbank. Hermine strahlte den Neuankömmling an.
»Zaches!« sagte sie. »Ich denk, du bist auf Samoa?«
3. Kapitel
Der Zwerg sieht weiter als der Riese,
wenn er auf dessen Schultern steigen kann.
S AMUEL T AYLOR C OLERIDGE
Ich hätte die Postkarte nicht schreiben dürfen; das hat so was wie Heimweh ausgelöst.« Der Zwerg saß auf dem Sargdeckel; im Hintergrund war Randy Newmans Gesang gegen
Short People
zu hören, den Matzbach mit feinem Gespür als Begrüßungsfanfare gewählt hatte.
Zaches, moldawischer Halbzigeuner, 1,44 groß, hatte
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