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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas
Autoren: Jeanette Walls
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unerträglich wurde, und wich dann gerade so weit zurück, dass ich sie aushalten konnte.
    Die Nachbarin, die mich zum Krankenhaus gefahren hatte, staunte, dass ich nicht vor jedem Feuer Reißaus nahm. »Zum Donnerwetter, warum sollte sie?«, dröhnte Dad mit stolzem Grinsen. »Sie hat doch schon mal gegen Feuer gekämpft, und sie hat gewonnen.«
    Ich fing an, Streichhölzer von Dad zu stibitzen. Dann ging ich hinter den Wohnwagen und zündete sie an. Ich mochte das Geräusch, wenn das Streichholz über den schmirgelpapierartigen braunen Streifen kratzte und wenn die Flamme mit einem Ploppen und Zischen aus der rot betupften Spitze sprang. Wenn ich die Hitze dicht an den Fingerspitzen spürte, wedelte ich es triumphierend aus. Ich zündete Papierstücke und Häufchen aus dünnen Zweigen an, wartete dann mit angehaltenem Atem, bis die Flammen fast außer Kontrolle gerieten. Dann trat ich sie aus und rief dabei die Schimpfworte, die Dad benutzte, wie »dämliches Arschloch!« und »Schleimscheißer!«.
    Einmal ging ich mit meinem Lieblingsspielzeug Tinkerbell, einer Plastikpuppe, die aussah wie die kleine Fee aus Peter Pan, hinter den Wohnwagen. Sie war nur fünf Zentimeter groß, trug das blonde Haar zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und hatte die Hände, was mir besonders gefiel, selbstbewusst und herausfordernd in die Hüften gestemmt. Ich zündete ein Streichholz an und hielt es nah vor Tinkerbells Gesicht, um ihr zu zeigen, wie sich das anfühlte. Im Schein der Flamme sah sie schöner aus denn je. Als das Streichholz ausging, machte ich noch eins an, und diesmal hielt ich es ihr ganz dicht ans Gesicht. Plötzlich weiteten sich ihre Augen wie vor Angst, und dann sah ich zu meinem Entsetzen, dass ihr Gesicht zu schmelzen anfing. Ich löschte das Streichholz, doch zu spät. Tinkerbells einst vollkommene kleine Nase war komplett verschwunden, und dort, wo ihre kecken roten Lippen gewesen waren, hatte sie nun einen hässlichen, schiefen Fleck. Ich versuchte ihre Gesichtszüge wieder zurechtzudrücken, machte aber alles nur noch schlimmer, und dann war die Masse auch schon abgekühlt und wieder erstarrt. Ich wickelte einen Verband darum. Ich hätte Tinkerbell gern eine Hauttransplantation verpasst, aber dazu hätte ich sie in Stücke schneiden müssen. Obwohl ihr Gesicht zerschmolzen war, blieb sie mein Lieblingsspielzeug.
    Wenige Monate nach meiner Rückkehr aus dem Krankenhaus kam Dad mitten in der Nacht nach Hause und holte uns alle aus dem Bett.
    »Zeit, unsere Zelte abzubrechen und dieses Drecksloch hinter uns zu lassen«, donnerte er.
    Wir hatten fünfzehn Minuten, um unsere Sachen zu packen und ins Auto zu klettern.
    »Ist alles in Ordnung, Dad?«, fragte ich. »Ist jemand hinter uns her?«
    »Nur keine Bange«, sagte Dad. »Überlass das ruhig mir. Pass ich nicht immer gut auf euch auf?«
    »Doch, das tust du«, sagte ich.
    »Braves Mädchen!«, sagte Dad und nahm mich in die Arme. Dann befahl er lautstark, wir sollten uns beeilen. Er selbst nahm die wichtigsten Sachen - eine große, schwarze, gusseiserne Pfanne und den Bratentopf, ein paar Blechteller aus Armeebeständen, ein paar Messer, seine Pistole und Moms Pfeile und Bogen - und verstaute alles im Kofferraum der Blauen Gans. Er sagte, wir sollten möglichst wenig mitnehmen, bloß das, was wir zum Überleben brauchten. Mom eilte in den Garten und fing an, im Mondlicht Löcher zu graben. Sie suchte nach dem Einmachglas mit unserem Bargeld. Sie hatte vergessen, wo sie es vergraben hatte.
    Eine Stunde verging, bis wir schließlich Moms Gemälde aufs Autodach schnallten, den Kofferraum bis oben hin voll packten und den Rest auf Rückbank und Wagenboden verteilten. Dad steuerte die Blaue Gans durch die Dunkelheit, ganz langsam, damit keiner merkte, dass wir »türmten«, wie Dad gern sagte, und er knurrte, dass er einfach nicht begreifen könne, warum zum Teufel wir immer so lange brauchten, um das Notwendigste zu schnappen und unseren Hintern ins Auto zu bewegen.
    »Dad!«, sagte ich. »Ich hab Tinkerbell vergessen!«
    »Tinkerbell kommt auch allein zurecht«, sagte Dad. »Sie ist wie mein kleines, tapferes Mädchen. Du bist doch tapfer und abenteuerlustig, oder nicht?«
    »Doch«, sagte ich. Ich hoffte, dass derjenige, der Tinkerbell fand, sie trotz ihres zerschmolzenen Gesichts lieb haben würde. Zum Trost wollte ich Quixote an mich drücken, unseren grauweißen Kater, dem ein Ohr fehlte, aber er fauchte und kratzte mir ins Gesicht. »Ganz ruhig,
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