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Schloss aus Glas

Schloss aus Glas

Titel: Schloss aus Glas
Autoren: Jeanette Walls
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Staates New York, Unterkunft und Verpflegung inklusive. Er versuchte, Mom zu überreden mitzukommen, aber sie lehnte rundweg ab. »Was soll ich am Arsch der Welt?«, sagte sie.
    Also fuhr Dad allein. Er rief mich ab und zu an, und es klang für mich so, als wäre er mit seinem neuen Leben zufrieden. Er hatte eine Einzimmerwohnung über einer Garage, seine Arbeit machte ihm Spaß - er war für Reparaturen und die Instandhaltung der alten Lodge zuständig-, genoss es, in wenigen Gehminuten in der freien Natur zu sein, und er rührte keinen Tropfen an. Dad arbeitete den ganzen Sommer hindurch und bis in den Herbst hinein in dem Hotel. Als es wieder kalt wurde, rief Mom ihn an und sagte, dass es für zwei Leute doch wesentlich einfacher sei, sich im Winter warm zu halten, und dass der Hund ihn vermissen würde. Im November, nach dem ersten harten Frost, rief Brian mich an und sagte, Mom hätte es endlich geschafft, Dad zu überreden, dass er seinen Job kündigte und zurückkam.
    »Meinst du, er bleibt weiter trocken?«, fragte ich.
    »Er hängt schon wieder an der Flasche«, sagte Brian.
    Ein paar Wochen nach seiner Rückkehr traf ich Dad bei Lori. Er saß auf dem Sofa, hatte einen Arm um Mom gelegt und in der Hand eine Flasche Whiskey. »Was mach ich nur
    mit eurer bescheuerten Mutter?«, sagte er lachend. »Ich kann nicht mit ihr leben, ich kann nicht ohne sie leben. Und das Schlimme ist, ihr geht's mit mir genauso.«
    Mittlerweile hatten wir alle unser eigenes Leben. Ich war auf dem College, Lori arbeitete als Illustratorin bei einem Comic-Verlag, Maureen lebte bei ihr und ging auf die Highschool. Brian, der schon immer zur Polizei wollte, seit er einmal einen Polizisten zu unserem Haus in Phoenix gerufen hatte, um einen Streit zwischen Mom und Dad zu schlichten, war Vorarbeiter in einem Lagerhaus und nebenbei als Hilfspolizist tätig, bis er alt genug war, um die Prüfung für den Polizeidienst abzulegen.
    Mom schlug vor, wir sollten alle zusammen Weihnachten in Loris Wohnung feiern. Für Mom kaufte ich ein antikes Silberkreuz, aber für Dad ein Geschenk zu finden war wesentlich schwerer. Es sah ganz nach einem weiteren harten Winter aus, und da Dad selbst bei eisiger Kälte nur seine Bomberjacke trug, beschloss ich, ihm was Warmes zum Anziehen zu schenken. In einem Militärzubehörladen kaufte ich Flanellhemden, Thermounterwäsche, dicke Wollsocken, eine blaue Arbeitshose, wie sie Automechaniker trugen, und ein neues Paar Stahlkappenschuhe.
    Lori schmückte ihre Wohnung mit bunten Lämpchen, Tannenzweigen und Papierengeln, Brian machte Eierflip, und Dad, der sich von seiner besten Seite zeigen wollte, ließ sich erst hoch und heilig versichern, dass auch kein Alkohol drin war, ehe er ein Glas annahm. Mom verteilte ihre Geschenke, die alle in Zeitungspapier eingepackt und mit Paketkordel zugebunden waren. Lori bekam eine gesprungene Lampe, die vielleicht mal eine Tiffany-Lampe war, Maureen eine alte Porzellanpuppe, die fast alle Haare verloren hatte, Brian ein Medizinlexikon mit kaputtem Einband. Mein Geschenk war ein orangefarbener Pullover mit rundem Ausschnitt. Er hatte ein paar Flecken, war aber, wie Mom beteuerte, aus echter Shetland-Wolle.
    Als ich Dad meinen Stapel liebevoll verpackter Geschenkkartons gab, protestiere er, dass er nichts brauche und nichts wolle. »Na los«, sagte ich. »Nun pack schon aus.«
    Ich sah zu, wie er vorsichtig das Geschenkpapier entfernte. Er hob die Deckel und blickte auf die gefalteten Kleidungsstücke. Sein Gesicht nahm den gekränkten Ausdruck an, den er immer aufsetzte, wenn die Welt ihn zwang, Farbe zu bekennen. »Du musst dich ja für deinen alten Herrn ganz schön schämen«, sagte er.
    »Wie kommst du denn darauf?«, fragte ich.
    »Du hältst mich wohl für einen verdammten Sozialfall.«
    Dad stand auf und zog seine Bomberjacke an. Er vermied es, irgendeinem von uns in die Augen zu blicken.
    »Wohin gehst du?«, fragte ich.
    Dad schlug bloß seinen Kragen hoch und verließ die Wohnung. Ich lauschte auf das Geräusch seiner Schritte, als er die Treppe hinunterging.
    »Was hab ich denn angestellt?«
    »Sieh es mal aus seiner Sicht«, sagte Mom. »Du kaufst ihm all die hübschen Sachen, und er hat für dich nichts anderes als Gerümpel von der Straße. Er ist der Vater. Eigentlich müsste er sich um dich kümmern.«
    Im Zimmer herrschte eine Weile Schweigen. »Dann willst du deine Geschenke wohl auch nicht«, sagte ich zu Mom.
    »Oh, doch«, sagte sie. »Ich lass mich
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