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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen
Autoren: Rudyard Kipling
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nicht im geringsten klar, er glaubte nur, daß er auf stolzem Roß über Plantagenhöhen reiten würde, um dafür ein fürstliches Gehalt zu beziehen. Deshalb war er seinem Onkel, der ihm diese Stellung verschafft hatte, sehr dankbar. Er wollte jetzt im Ernst sein träges, nutz- und zielloses Leben ändern, jährlich einen großen Teil seines großartigen Gehaltes zurücklegen, in sehr kurzer Zeit wieder heimkehren und Agnes Laiter heiraten. Phil Garron hatte drei Jahre lang seinen Freunden auf der Tasche gelegen, und da er nichts zu tun gehabt hatte, sich natürlich verliebt. Er war ein netter Mensch, aber nicht gerade stark in seinen Ansichten, Meinungen und Grundsätzen. Und wenn er auch nie zu Fall gekommen war, freuten sich seine Freunde doch, als er Abschied nahm, um sich in die geheimnisvolle Teegegend bei Darjiling zu begeben. Sie sagten: »Gott befohlen, lieber Junge. Laß dich hier so bald nicht wieder sehen.« Oder sie gaben es ihm wenigstens zu verstehen.
    Bei der Ausfahrt war er erfüllt von dem großen Vorsatz, zu beweisen, daß er hundertmal besser sei, als man von ihm geglaubt hatte. Er wollte wie ein Pferd arbeiten und Agnes Laiter im Triumph heimführen. Es war viel Gutes an ihm, auch abgesehen von seinem guten Äußern. Sein einziger Fehler war eine Schwäche, eine ganz, ganz kleine, wirklich ganz kleine Schwäche. Er sparte so wenig, wie eine Morgenzeitung an Papier spart. Und doch konnte man nirgends auf etwas hinweisen, von dem man hätte sagen können: »Hier ist Phil Garron verschwenderisch oder leichtsinnig gewesen.« Und ebenso vermochte man in seinem Charakter keine bestimmten Untugenden zu entdecken. Aber er war »unerfreulich« und so schmiegsam wie Ton.
    Agnes Laiter ging zu Hause ihren Pflichten nach, mit roten Augen, – denn ihre Familie war gegen die Verlobung, – während Phil nach Darjiling fuhr. Seine Mutter sagte zu ihren Freunden: »nach einem Hafen am bengalischen Meerbusen«. Phil war an Bord recht beliebt, hatte viele Bekanntschaften und eine ganz anständige Weinrechnung und schrieb von jedem Hafen aus unendlich lange Briefe an Agnes Laiter. Er begann seine Tätigkeit auf der Plantage, irgendwo zwischen Darjiling und Kangra, und obwohl Gehalt, Pferd und Arbeit nicht ganz seinen Vorstellungen entsprachen, kam er ganz gut vorwärts und bildete sich auf seine Ausdauer unnötig viel ein.
    Als er sich mit der Zeit an das Joch der Arbeit und ihre starre Regelmäßigkeit gewöhnt hatte, verlor sich das Bild Agnes Laiters aus seinem Gedächtnis. Nur in Mußestunden, die nicht häufig waren, kam es ihm zurück. Er könnte sie vierzehn Tage lang ganz vergessen, bis er sich wie ein Schuljunge, der seine Aufgaben nicht gemacht hat, mit einem Ruck ihrer erinnerte. Sie vergaß Phil nicht, denn sie gehörte zu denen, die nie vergessen. Es erschien nur ein anderer, –ein wirklich begehrenswerter junger Mann, – im Haus von Mrs. Laiter. Die Möglichkeit einer Heirat mit Phil lag in unverminderter Ferne, und seine Briefe waren so unbefriedigend, und ein häuslicher Druck wurde auf das Mädchen ausgeübt, und der junge Mann war wirklich begehrenswert, was sein Einkommen betraf, und so war das Ende vom Lied, daß Agnes ihn heiratete und einen stürmischen Brief an Phil in die Wüste von Darjiling sandte. Sie schrieb, daß sie in ihrem Leben keine glückliche Stunde mehr haben würde. Und diese Prophezeiung bewahrheitete sich.
    Phil empfing den Brief und fühlte sich schlecht behandelt. Das geschah zwei Jahre nach seiner Abreise. Und jetzt dachte er wieder dauernd an Agnes Laiter. Er betrachtete ihr Bild und warf sich in die Brust in dem Glauben, daß er der treueste Liebhaber der Weltgeschichte gewesen sei. Er wärmte sich an der Glut der Überzeugung, daß er wahrhaft schlecht behandelt würde. Dann setzte er sich hin und schrieb einen letzten Brief, eine höchst rührselige Predigtepistel im Stil des »Vereint bis in den Tod. Amen!« Er setzte auseinander, daß er in alle Ewigkeit treu bleiben würde, daß alle Frauen gleich wären, daß er sein gebrochenes Herz verbergen wolle usw., aber wenn im Lauf der Zeit usw. usw., er könne warten usw. usw., Rückkehr zur alten Liebe usw. usw., und das alles auf acht eng beschriebenen Seiten. Vom künstlerischen Standpunkt aus war es eine saubere Arbeit; aber ein gemeiner Philister, der Phils wahre Gefühle kannte, – nicht die, zu denen er sich beim Schreiben aufschwang, – hätte in dem Brief das durch und durch kleinliche und selbstische Werk
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