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Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben

Titel: Schleich di!: ...oder Wie ich lernte, die Bayern zu lieben
Autoren: Daniel Wiechmann
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Lektionen zu erteilen. Bayerisch für Anfänger gewissermaßen.
    Wenn ich beim Bäcker etwa sechs Brötchen bestellte, schnappte sich die Verkäuferin eine Tüte und sagte laut und verständlich. »Sechs Semmeln, der Herr. Die Kaiser- oder die Baguettesemmeln?«
    Auf so eine Frage konnte ich schlecht mit »Die Kaiserbrötchen, bitte«, antworten. Also fügte ich mich, bestellte die Kaisersemmeln und war – schwupps, ob ich nun wollte oder nicht – bereits ein Stück bayerischer. Wie gemein! In Bayern, das merkte ich schnell, integrierte man sich nicht selbst, man wurde integriert. Ich hatte mir insgeheim vorgenommen, die bayerische Diktatur der spießigen Gemütlichkeit mit meinem Berliner Freigeist langsam, aber sicher auszuhöhlen, das System von innen zu untergraben. Doch mein ehrgeiziger Plan war wohl nicht so leicht in die Tat umzusetzen. Ich nahm es sportlich. Hieß es nicht immer, dass nur derjenige, der seinen Feind wirklich kennt, ihn letztlich besiegen kann? Es war vielleicht gar nicht so schlecht, sich ein Stück weit auf die hiesigen Gepflogenheiten einzulassen.
    So wie Francesca. »Piccolo e compatto« – klein und kompakt, freute sie sich über die Ausmaße Münchens und die familiäre Atmosphäre im Viertel. Mir allerdings kam die Befürchtung, dass mein Freund Thomas mit seiner Bemerkung über das Millionendorf vielleicht doch recht haben könnte.
    Und Oskar? Der erweiterte seinen Wortschatz in den ersten Wochen auf dem Spielplatz um Begriffe wie »Watschn«, »bazn« und »Zipfelklatscher«. Es dauerte ein wenig, bis ich herausgefunden hatte, was sich hinter diesen seltsamen Worten verbarg. Den Begriff »Watschn« benutzten die Kinder offenbar, wenn sie sich gegenseitig Schläge, sprich Ohrfeigen, anboten. Mit dem »bazn« war das Herumkleckern beim Spielen mit Schlamm und Wasser gemeint. Und dass es sich bei letzterem Begriff nicht etwa um einen traditionellen bayerischen Tanz, sondern tatsächlich um die Bezeichnung für einen Mann handelte, der selbst Hand an sich legt, erfuhr ich gottlob erst, als es schon viel zu spät war, sich darüber Gedanken oder gar Sorgen zu machen.
    Neben der Größe Münchens war es vor allem die Geschwindigkeit der Stadt, die mich irritierte. München ist eine Schnecke.
    Jede Stadt hat ihr eigenes Tempo. Man kann dieses Tempo an den Menschen ablesen. Daran, wie schnell sie laufen, wie schnell sie sprechen oder essen. Daran, wie sie der Straßen- oder U-Bahn hinterherrennen. Berlin ist da ganz weit vorn. Außenstehende empfinden das Berliner Tempo oft als unangenehm. »Die Hektik der Großstadt«, sagen sie dann. Für mich war diese ständige Bewegung um mich herum wie ein elektrischer Impuls, der meinen eigenen inneren Motor antrieb. Und in diesem Impuls schwangen Inspiration und Kreativität mit. Es ist merkwürdig, aber in München scheint sich jede Geschwindigkeit irgendwo im Gewühl der Menschen zu verlieren. Auf unseren ersten Spaziergängen durch die Stadt fühlte ich mich die meiste Zeit wie ein Formel-1-Rennwagen in einer Tempo-30-Zone. Ständig musste ich meinen Schritt bremsen. In einer Studie wurde festgestellt, dass Berliner häufiger nach der U- oder S-Bahn rennen als Münchner, obwohl die Berliner im Durchschnitt kürzer auf die nächste Bahn warten müssen. Ich konnte in München keine fünf Meter laufen, ohne nicht jemand anderen zu überholen. Wenn es denn den Platz zum Überholen gab. München ist vollgestopft mit Menschen. Bei einer kurzen Recherche war ich auf ein paar überraschende Fakten gestoßen. München ist die mit weitem Abstand am dichtesten besiedelte Stadt Deutschlands. Locker vor Berlin. Das hätte ich nicht gedacht. Als ich dann auch noch las, dass jeden Tag mehr als eine halbe Million Pendler aus dem Umland in die Stadt einfallen, um hier zu arbeiten und nur rund 150 000 Münchner aus demselben Grund die Stadt verlassen, wurde mir so einiges klar. Rechnet man dann noch die 100 Millionen Touristen und Geschäftsreisenden hinzu, die jährlich nach München kommen, dann plustert sich München zumindest jeden Werktag zur Zwei-Millionen-Metropole auf. Kein Wunder, dass man oft den Eindruck hat, die Stadt würde aus allen Nähten platzen.
    Dass es dennoch nur selten zur Explosion kommt, liegt wohl schlicht daran, dass die Bayern hektisch nicht können. Oder nicht wollen. Vor allem dann nicht, wenn es darum geht, zu ermitteln, wie es möglich ist, dass sieben Sekunden aus einem Polizeivideo verschwinden, das einen Einsatz aufzeichnet. Und
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