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Schlagschatten

Schlagschatten

Titel: Schlagschatten
Autoren: Paul Auster
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Black weiß. Es muss ein Versteckspiel bleiben, sagt er sich, ein Versteckspiel bis zum Ende.
    Nach dem ersten Drink bestellen sie noch eine Runde, der noch eine weitere folgt, und während sie über alles Mögliche von Versicherungsstatistik bis zur Lebenserwartung von Menschen in verschiedenen Berufen plaudern, lässt Black eine Bemerkung fallen, die dem Gespräch eine andere Wendung gibt.
    Ich nehme an, ich würde nicht sehr weit oben auf Ihrer Liste stehen, sagt er.
    So? sagt Blue und weiß nicht, was er davon halten soll. Was sind Sie denn von Beruf?
    Ich bin Privatdetektiv, sagt Black geradeheraus, ganz kühl und gefasst, und für einen kurzen Augenblick ist Blue versucht, Black seinen Drink ins Gesicht zu schütten, so verärgert, so wütend ist er über die Frechheit des Mannes.
    Was Sie nicht sagen!, ruft Blue, der sich rasch wieder unter Kontrolle hat und es fertig bringt, naive Überraschung zu spielen. Privatdetektiv. Man stelle sich das vor. Aus Fleisch und Blut. Denken Sie nur, was meine Frau sagen wird, wenn ich es ihr erzähle. Ich in New York und trinke mit einem Privatdetektiv. Sie wird es nicht glauben.
    Was ich damit sagen will, unterbricht ihn Black ziemlich schroff, ist, dass ich nicht glaube, eine sehr hohe Lebenserwartung zu haben. Jedenfalls nicht nach Ihren Statistiken.
    Wahrscheinlich nicht, poltert Blue weiter. Aber denken Sie an die Aufregung! Das Leben ist mehr als nur lange leben, wissen Sie. Die Hälfte aller Männer in Amerika würde zehn Jahre ihres Ruhestands hergeben, wenn sie so leben könnte wie Sie. Fälle knacken, sich durchs Leben schlagen, Frauen verführen, gefährliche Ganoven mit Blei voll pumpen – mein Gott, dafür spricht einiges.
    Das ist alles nur Schein, sagt Black. Wirkliche Detektivarbeit kann sehr langweilig sein.
    Nun ja, jede Arbeit hat ihre Routine, fährt Blue fort. Aber in Ihrem Fall wissen Sie wenigstens, dass die ganze Arbeit schließlich zu etwas Ungewöhnlichem führt.
    Manchmal ja, manchmal nein. Die meiste Zeit nicht. Nehmen wir den Fall, an dem ich jetzt arbeite. Ich bin schon über ein Jahr damit beschäftigt, und nichts könnte langweiliger sein. Mir ist so langweilig, dass ich manchmal glaube, ich verliere den Verstand.
    Wie das?
    Malen Sie sich das selbst aus. Meine Arbeit besteht darin, jemanden zu beobachten, niemand Besonderen, soweit ich das beurteilen kann. Jede Woche muss ich einen Bericht über ihn einschicken. Nur das. Diesen Kerl beobachten und über ihn schreiben. Und das ist, verdammt nochmal, alles.
    Was ist daran so schrecklich?
    Er tut nichts, das ist es. Er sitzt nur den ganzen Tag in seinem Zimmer und schreibt. Das reicht aus, um einen verrückt zu machen.
    Es könnte sein, dass er Sie an der Nase herumführt. Sie wissen schon, er will Sie einlullen, bevor er mit einem Mal etwas unternimmt.
    Das habe ich zuerst auch gedacht. Aber jetzt bin ich sicher, dass nichts geschehen wird – niemals. Ich fühle es in den Knochen.
    Zu dumm, sagt Blue voller Mitgefühl. Vielleicht sollten Sie den Fall aufgeben.
    Ich denke daran. Ich sollte vielleicht einfach den ganzen Kram hinwerfen und etwas anderes tun. Eine andere Arbeit. Versicherungen verkaufen oder zum Zirkus gehen.
    Ich hätte nie gedacht, dass es so schlimm kommen könnte, sagt Blue und schüttelt den Kopf. Aber sagen Sie, warum beobachten Sie Ihren Mann jetzt nicht? Sollten Sie ihn nicht im Auge behalten?
    Das ist es ja gerade, antwortet Black. Ich brauche mir gar keine Mühe mehr zu machen. Ich beobachte ihn nun schon so lange, dass ich ihn besser kenne als mich selbst. Ich brauche nur an ihn zu denken, und ich weiß, was er tut, ich weiß, wo er ist, ich weiß alles. Es ist so weit gekommen, dass ich ihn mit geschlossenen Augen beobachten kann.
    Wissen Sie, wo er jetzt ist?
    Zu Hause, wie gewöhnlich. Er sitzt in seinem Zimmer und schreibt.
    Worüber schreibt er?
    Ich bin nicht sicher, aber ich kann es mir ziemlich gut vorstellen. Ich denke, er schreibt über sich selbst. Die Geschichte seines Lebens. Das ist die einzig mögliche Antwort. Nichts anderes würde passen.
    Warum dann das ganze Geheimnis?
    Ich weiß nicht, sagt Black, und zum ersten Mal verrät seine Stimme eine Gefühlsregung und bleibt ein wenig an den Worten hängen.
    Dann läuft alles auf eine Frage hinaus, nicht wahr?, sagt Blue. Er vergisst Snow und blickt Black gerade in die Augen. Weiß er, dass Sie ihn beobachten, oder weiß er es nicht?
    Black wendet sich ab, außerstande, Blue anzusehen, und mit einer
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