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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen
Autoren: Annie Proulx
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die Totenwache, Billy?« Quoyle fing an, die Titelseite umzuschmeißen.
    Billy griff nach seinem Notizbuch. »Um sieben. Ich weiß nicht, ob Dennis einen Sarg bauen kann oder sie einen kaufen müssen.«
    Benny Fudge schlüpfte zur Tür hinaus, in der Hand den neuen Laptop, auf dem Kopf einen Filzhut aus dem Versand-handel, sein Gesicht verändert von neuen Zähnen und Ehrgeiz.
    Dicker werdender Nebel auf dem Wasser. Dampfspiralen wanden sich, die Luft wurde dichter und füllte sich auf, jene andere Welt verschwand, wie einen Schacht hinunter, ließ nur nassen Felsen zurück, die geglättete See und wäßrige Luft. Aus der Ferne der heisere und gedämpfte Ruf eines Nebel-horns, ein auf einer Frühlingswiese vor Verlangen brüllender Stier.
    Quoyle war erschöpft, aufgedreht, machte sich zur Totenwache fertig. Er zwängte sich in seine schwarze Beerdigungshose. Er würde zur Zeitung zurückfahren müssen, sobald er anständigerweise gehen konnte, und Billys langen Artikel kleben. Sie hatten ein schönes Bild von Jack, auf dem er zwar zehn Jahre jünger war, aber genauso aussah, neben seinem frisch gestrichenen Skiff stehend. Quoyle hatte für Mrs. Buggit einen schönen 23x30 cm großen Abzug rahmen lassen.
    Er fürchtete sich davor, Jack in seinem Salon in einer Gischt geknoteter Spitzendeckchen liegen zu sehen. Stellte sich den Körper naß vor, als hätten sie ihn nicht trocken bekommen, in Strömen von ihm herunterlaufendes Meerwasser, das laut auf den polierten Boden tropfte, und wie Mrs. Buggit sich besorgt bückte, um es mit einem weißen, in der Hand zusammengeknüllten Tuch aufzuwischen.
    Auch sein altes Tweedjacket war zu eng. Am Ende gab er es auf und zog den riesigen ochsenblutfarbenen Pullover an, den er täglich trug. Da ließ sich nichts machen. Aber für die Beerdigung am nächsten Tag würde er sich ein neues Jackett kaufen müssen. Am Morgen in Misky Bay, wenn er die Zeitung zum Drucken brachte. Band sich seine guten Schuhe zu, als Wavey anrief und sagte, Bunny müsse ihn etwas fragen.
    Harte, kleine Stimme. Erst das zweite Mal, daß er mit ihr telefonierte. Sie würde nie vom Verkaufen von Versicherungen leben können.
    »Dad, Wavey hat gesagt, ich muß dich fragen. Wenn ich zum Erwachen von Onkel Jack gehen will. Wavey hat gesagt, du mußt sagen, ob wir dürfen. Dad, du gehst, und Marty und alle gehen, und Herry und Wavey gehen, und ich und Sunshine müssen bei der Tante in ihrer Werkstatt voller Nadeln bleiben, und ich will nicht, ich will zu dem Erwachen gehen.«
    »Bunny, es heißt ›Wache‹, nicht ›Erwachen‹. Und Marty und Murchie und Winnie gehen, weil Jack ihr Großvater war. Laß mich mit Wavey darüber reden.«
    Aber Wavey hielt es für richtig, daß sie gingen.
    Quoyle sagte, im letzten Jahr habe es zu viele Tote für sie gegeben.
    »Aber alles stirbt«, erwiderte Wavey. »Im Leben gibt es Kummer und Verlust. Das müssen sie begreifen. Sie scheinen zu glauben, daß der Tod nur ein Schlaf ist.«
    Tja, meinte Quoyle, sie wären doch nur Kinder. Kinder sollten vor dem Wissen um den Tod bewahrt werden. Und was sei mit Bunnys Alpträumen? Die könnten schlimmer werden.
    »Aber, mein Lieber, wenn sie nicht wissen, was der Tod ist, wie können sie dann die tieferen Seiten des Lebens verstehen? Die Jahreszeiten und die Natur und die Schöpfung -«
    Er wollte nicht, daß sie sich über Gott und Religion ausließ. Was sie manchmal tat.
    »Vielleicht«, sagte Wavey, »hat sie diese Alpträume, weil sie Angst hat, daß sie, wenn sie schläft, nicht mehr aufwacht wie Petal und Warren und ihre Großeltern. Außerdem: Wenn du dir die Verstorbenen ansiehst, wirst du nie durch die Erinnerung an sie gequält. Das ist altbekannt.«
    Also willigte Quoyle ein. Und versprach, nicht zu behaupten, Jack würde schlafen. Und er würde vorbeikommen und sie alle mit dem Kombi abholen. In etwa einer Viertelstunde.
     
    Der Straßenrand voll von Pkws und Lkws. Sie mußten weit hinten parken und zum Haus gehen, auf ein Getöse aus Stimmen zu, das dreißig Meter weit trug. Eine Schlange von Leuten defilierte durch den Salon, wo zwischen Spitzenwindrädchen auf schwarz drapierten Sägeböcken Jacks Sarg ruhte. Sie fädelten sich in die Schlange ein, zwängten sich in den Salon. Quoyle hielt Bunny an der Hand, trug Sunshine. Jack wie ein Foto seiner selbst, wachsig, im ungewohnten Anzug. Die Augenlider violett. Eigentlich, dachte Quoyle, sah er tatsächlich so aus, als würde er schlafen. Mußte Bunny
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