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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume
Autoren: Leah Fleming
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beobachtete, wie die Gäste im Licht der untergehenden Sonne den Weg zur Villa hinaufstiegen. In Italien aßen die Menschen viel später als in England. Je dunkler es wurde, desto heller strahlten die Laternen rechts und links des Wegrands. Zuerst kamen die Nachbarn des Bauernhofs, zu dem die Olivenbäume gehörten, die Männer in dunklen Anzügen und die Frauen in bunten Baumwollkleidern. Dann brachte ein Wagen die alte
nonna
Bartolini bis zur Tür. Die Familienälteste war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, mit einem Kopftuch, an dessen Saum schwarze Spitze angesetzt war. Gebeugt stützte sie sich auf einen Stock und hielt sich zusätzlich an ihrem Enkel Giovanni fest, der von seinen Kindern umgeben war, die ebenfalls Spitzenbordüren an ihren bunten Rüschenkleidern trugen. Als Nächstes kam der Ortspfarrer, Pater Michele, und ein hoch gewachsener, vornehm aussehender Mann, dem dieses Anwesen offenbar gehörte. Weitere Bartolinis und Dorfbewohner fuhren in Kleinlastwagen und dreirädrigen Motorrollern an. Es gab ein großes Hallo, als Patti und Kathleen alle mit Küsschen begrüßten, und Celeste kam sich sehr englisch vor in ihrer Zurückhaltung. Archie mischte sich unter die Leute, und sie blickte sich um, ob noch etwas zu tun wäre. Clare verteilte Begrüßungsgetränke, und da kam Ella und sah sehr italienisch und hübsch aus. Celeste war ganz gerührt, sie so strahlend und entspannt zu sehen. Dieser Urlaub hatte ihr wirklich gutgetan – als wären Jahre von ihr abgefallen. Es würde ein besonderer Abend werden, und Celeste lächelte voller Vorfreude. Es war die Art von Nacht, in der alles passieren konnte.
    Ein Trinkspruch nach dem anderen wurde ausgebracht, Gläser erhoben und angestoßen, und es gab reichlich guten Wein und gute Laune. Zu den Ansprachen wurden verschiedene Käse und Schokoladen herumgereicht. Ella hätte die Szene gern in einer Zeichnung festgehalten. Sie merkte, dass sie ein wenig aufgeregt war, als sie sich plötzlich neben Piero Marcellini wiederfand. Vor diesem Mann gab es anscheinend kein Entkommen. Aber wieso sollte Roddy den Besitzer dieser Villa auch nicht einladen? Sie musste ihm ihren Beruf beichten, und er erwies sich als äußerst kunstbeflissener Mann. Clare stupste sie an, zwinkerte ihr zu und flüsterte: »Gegen ihn hat Vittorio de Sica keine Chance.« Es war recht albern, aber nach ein paar Gläsern Rotwein machte Ella sich nichts mehr daraus.
    Der Älteste der Bartolinis stand auf und erhob sein Glas auf abwesende Freunde und Pater Francesco, Pattis Bruder, der Roddy das Leben gerettet hatte. Piero übersetzte, so gut er konnte. Er sagte, der Dialekt sei so stark, dass er selbst nur ungefähr verstehen könne, was gesprochen werde. »Er sagt, der Krieg hat uns eine lange Zeit getrennt. Jetzt sind wir zusammen. Der große Atlantik hat vor vielen Jahren die Bartolini-Brüder getrennt, aber die Familien sind stark und jetzt auf immer wieder vereint. Es ist das, was Francesco gewollt hätte, und Angelo. Wir wünschen ihm ein langes Leben und gute Gesundheit Und wir denken an Maria!«
    »Wer ist das?«, flüsterte Ella, so dicht, dass sie Pieros dezenten Rasierwasserduft wahrnahm.
    »Maria war Angelos erste Frau, vor Kathleen. Sie war auf der
Titanic
, zusammen mit ihrem gemeinsamen Baby.«
    »Noch mehr Opfer der
Titanic
… wie traurig«, murmelte Ella.
    »Aber Alessia ist nicht ertrunken«, warf Patti dazwischen. »Sie ist bloß nicht mehr in unsere Familie zurückgekommen, sondern irgendwo falsch abgegeben worden. So hat es mein Vater zumindest immer geglaubt. – Onkel Giovanni«, rief sie dann laut, »erzähl ihnen von dem Schuh, von Franks kleinem Schuh!«
    Der alte Mann erhob sich erneut und schwenkte am anderen Ende des Tisches etwas Kleines in der Luft.
    »Was sagt er?« Ella bemühte sich, ihn zu verstehen, aber er sprach zu schnell.
    »Etwas über einen Babyschuh, den Francescos Vater am Dock fand, als das andere Schiff die geretteten Passagiere brachte. Er glaubte fest daran, dass es der Schuh seines Kindes sei«, sagte Piero.
    »Das ist der Schuh, den wir Frank als Glücksbringer mitgaben, aber er hat nicht gewirkt«, flüsterte Kathleen und schüttelte den Kopf.
    »Das kommt, weil er ihn Nonna Elisabetta gegeben hat. Ich war dabei«, erläuterte Roddy. »Frank sagte damals, sie habe es als Beweis angesehen, dass er tatsächlich der Sohn seines Vaters sei. Der Schuh stammte hier aus der Gegend. Am Tag, als er starb, hatte er vergessen, ihn wieder
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