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Schieber

Schieber

Titel: Schieber
Autoren: C Rademacher
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lächelt tapfer. »Sind ja nur noch ein paar Meter bis zu den
Landungsbrücken«, flüstert er, wankt aber trotzdem zur anderen Seite der
Barkasse.
    Stave blickt ihm nachsichtig hinterher. Kienle ist einer der wenigen
netteren Kollegen. Schon in der Nazizeit war Stave ein Außenseiter. Nicht
direkt verdächtig, die braunen Machthaber hatten ihn nicht entlassen, wie die
wenigen Sozialdemokraten bei der Hamburger Polizei, aber doch auf einen
unbedeutenden Posten abgeschoben. Betrugssachen. Dann die Karriere als
Unbelasteter nach 1945. Viele Krimsches waren von den Engländern gefeuert
worden, manche, die in der Gestapo gewesen waren, müssen sogar bis zum heutigen
Tag mit Gerichtsverfahren rechnen. Andere Beamte hatten sich vor den
misstrauischen Augen der Sieger mit knapper Not getarnt und waren übernommen
worden, mussten aber zusehen, wie der ehemalige Verlierer Stave nun im Rang mit
ihnen gleichzog.
    Kripochef »Cuddel« Breuer – als Sozialdemokrat und ehemaliger KZler
noch viel mehr ein Außenseiter im Amt als Stave – hat ihm nun den Fall des
toten Jungen übertragen. Eine hässliche Sache. Stave fragt sich, ob er es mit
einem Verrückten zu tun hat, der Jungenleichen auf Bomben ablegt. Der Druck,
das Verbrechen aufzuklären, wird ihn nicht schlafen lassen. Oder hängt das
Verbrechen mit der erzwungenen Demontage von Blohm & Voss zusammen? Dann
ist Stave in ein politisches Wespennest gestürzt – so verhasst, wie diese
Aktion in Hamburg ist. So oder so, denkt der Oberinspektor, gibt es bei dem
Fall wenig zu gewinnen. Aber viel zu verlieren.
    Die Barkasse legt an den Landungsbrücken an, die stählerne
Bordwand knirscht an hölzernen Dalben. Noch vor den Angestellten, die
ungeduldig an der Reling stehen und darauf warten, dass ein Matrose eine Planke
zum Steg legt, drängt sich Kienle an Land, ein glückliches Lächeln im Gesicht.
Stave und die anderen Beamten folgen ihm auf die Anlegestelle. An deren Ende,
hoch am Ufer, ragen seit einem halben Jahrhundert die Bauten der Landungsbrücke
auf, der Zuckerbäckertraum einer antiken Stadtmauer: eine wuchtige
Gebäudefront, einige Hundert Meter breit, mit halbrunden Toren im ockerfarbenen
Stein. Bögen und Skulpturen in einem pseudo-antiken Stil, bekrönt von einem
Turm wie aus einer mittelalterlichen Stadt. Dahinter die Kuppel des Elbtunnels,
geformt wie die des Pantheons in Rom. Und im Innern ein paar schäbige
Restaurants, Fahrkartenschalter, Büros.
    Stave schreitet durch eines der Tore. Am anderen Ende parkt ein
Vorkriegs-Mercedes-Benz, Peter-2, einer der wenigen Einsatzwagen der Kripo. Der
Oberinspektor fährt selbst, er liebt es, das große, hölzerne Lenkrad zu packen,
das heisere Grummeln des alten Motors zu hören, Benzin und heißes Schmieröl zu
riechen. Kienle und die Schupos drängen sich neben und hinter ihm –
unvorschriftsmäßig viele Personen in einem Auto, aber wer soll sie schon
anhalten?
    Der Mercedes schüttelt sie durch wie eine Postkutsche, als er über
das Kopfsteinpflaster der Helgoländer Allee rumpelt. Zu ihrer Rechten wölbt sich
ein kleiner Park auf, bekrönt von einem Hügel, auf dem ein gigantischer
steinerner Bismarck mit strenger Miene gen Unendlichkeit blickt. Kein
Bombensplitter hat je diesen Koloss getroffen.
    Am Millerntor vorbei, links geht die Reeperbahn ab, die Luft flirrt
über den Müßiggängern und Schwarzmarkthändlern, und irgendwie sieht alles noch
schäbiger aus als sonst. Trümmerfrauen in verwaschenen Blusen, geknotete
Kopftücher als Sonnenschutz. In einer langen Schlange reichen sie Ziegel,
Betonbrocken, zersplittertes Holz aus einem verwüsteten Grundstück von Hand zu
Hand weiter, stapeln alles sorgfältig am Straßenrand. Arbeiter mit
nassglänzenden, nackten Oberkörpern, die diese Fracht auf einen wartenden
Lastwagen wuchten, der bereits gefährlich hoch beladen ist, die abgefahrenen
Reifen zusammengepresst. Daneben neugierige Kinder, barfuß und in kurzen
Lederhosen. Männer, die ihre Hosenbeine hochgerollt haben und oben nur noch
schweißfleckige Unterhemden tragen. Zerbombte Häuser hinter den Bürgersteigen,
Trümmerhaufen, gezackte Wände. Immerhin die gelben Punkte von Butterblumen auf
Brachen, Brombeergestrüpp über Schutthaufen, sogar schon junge Kastanien und
Ahornbäume, die sich aus den Eingeweiden ausgebrannter Häuser kämpfen. Den
Holstenwall hoch, vorbei am Museum für Hamburgische Geschichte, mit Brandspuren
und Splitterlöchern in den Backsteinwänden.
    Sie erreichen die Kripo-Zentrale am
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