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Schicksal in seiner Hand

Titel: Schicksal in seiner Hand
Autoren: Dr. Thomas Bruckner
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den Kindern hin.
    »Ich weiß es nicht …«
    »Dann überlege es dir gut! Schließlich war ja alles genau besprochen. Ich kann doch nichts dafür, daß nun die Krankheit deiner Frau dazwischengekommen ist. Aber das braucht ja nichts an unseren Plänen zu ändern.« Sie schaute ihn an. Als er nicht antwortete, fuhr sie fort: »Ich gehe jetzt. Sieh zu, wie du dich am besten aus der Affäre ziehst! Morgen komme ich bei dir vorbei. Dann will ich aber eine endgültige Antwort haben!«
    Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging mit selbstbewußten Schritten über die Straße. Albert Kleiber machte eine Bewegung, als wolle er ihr nachlaufen …
    »Warum soll man ihm schließlich kein Vergrößerungsglas geben?« meinte der Röntgenologe gnädig. Er griff in seine Tasche und holte eine Lupe hervor. Mit einer komisch anmutenden Verbeugung überreichte er sie dem verspotteten ›Protektionskind‹.
    Dr. Bruckner hielt das Vergrößerungsglas dicht vor die Röntgenbilder. Er studierte alle Einzelheiten und Feinheiten genau. Er ließ sich durch nichts stören, auch nicht durch das Hüsteln des Oberarztes, der ihn zur Eile antreiben wollte. Schließlich wandte er sich um und gab das Vergrößerungsglas dem Röntgenologen zurück.
    »Vielen Dank. Es ist natürlich schwer, eine Diagnose zu stellen, die nur auf einem Röntgenbild basiert – ohne die Vorgeschichte der Kranken zu kennen«, begann er mit sicherer, klarer Stimme. »Ich muß deshalb für meine genauere Untersuchung und die damit verschwendete Zeit um Verzeihung bitten.«
    »Kommen Sie zur Sache!« rief der Professor unfreundlich. »Ich habe Sie gebeten, eine Diagnose zu stellen, und nicht, Vorträge zu halten. Eine Diagnose aber besteht nur aus einem einzigen Wort. Nennen Sie mir das, und lassen Sie alles Geschwafel beiseite!«
    Dr. Bruckner biß die Zähne zusammen.
    »Stenosierendes Karzinom am Magenausgang!«
    Überrascht fuhr er herum. Der beste Conférencier der Welt hätte mit vier Wörtern keinen größeren Heiterkeitserfolg erzielen können als Bruckner mit dieser Diagnose. Die Anwesenden prusteten vor Lachen und hielten sich den Bauch.
    Allen voran gebärdete sich Oberarzt Wagner wie ein Verrückter. Immer wieder wiederholte er die Diagnose, die Dr. Bruckner gestellt hatte: »Stenosierendes Karzinom!«
    »Sind sie allesamt wahnsinnig geworden?« dröhnte jetzt die Stimme des Klinikchefs durch den Raum.
    Als hätte sich ein Zauberbann auf die Anwesenden gelegt, hörte urplötzlich das Gelächter auf. Thomas Bruckner hätte am liebsten über diese seltsame Wandlung gelacht – wenn es ihm nicht so bitterernst zumute gewesen wäre.
    »Sie scheinen zu vergessen, daß Sie sich an geheiligter Stätte befinden, meine Herren! Respektieren Sie bitte die Würde des Operationssaales, und vergessen Sie nicht, daß hier ein Mensch auf die schwerste Stunde seines Lebens wartet.«
    Kopfschüttelnd griff Professor Bergmann nach dem Skalpell und setzte zum Schneiden an. Aber dann besann er sich noch einmal.
    »Es tut mir leid, Kollege Bruckner, aber Sie haben mit Ihrer Diagnose völlig danebengehauen – auch wenn Sie dazu ein Vergrößerungsglas brauchten. So ein Glas vergrößert eben alles, auch die Fehler, Erleuchtung ohne eigenes Wissen gibt es nicht. Merken Sie sich das! Meine – unsere – Diagnose lautet: stenosierendes Geschwür. Und diese Diagnose werde ich Ihnen sofort beweisen!«
    Es war jetzt totenstill im OP. Man glaubte, das Schneiden des Messers zu hören, das die Haut durchtrennte und als Spur eine rote Linie hinterließ.
    Alle, die sich im Saal befanden, waren ganz nahe an den Operationstisch herangetreten – so nahe es die Keimfreiheit des Operationsgebietes gestattete. Jeder erreichbare Schemel, jede Fußbank waren herbeigeschleppt worden und mit Zuschauern besetzt. Sie hielten sich aneinander fest, um nicht von ihren kleinen Podesten herunterzufallen. Aus der Routineoperation war plötzlich eine kleine Sensation geworden.
    Dr. Bruckner beteiligte sich nicht an dieser allgemeinen Neugierde. Er überlegte einen Augenblick, ob es nicht besser wäre, hinauszugehen. Aber dann verwarf er diesen Gedanken. Warum sollte er dem Professor nicht die Genugtuung gönnen, recht zu behalten? Vielleicht vermochte dieser Triumph die Stimmung des alten Herrn günstig zu beeinflussen.
    »Klemmen!« ertönte die Stimme des operierenden Professors.
    Bruckner blickte wieder zum Operationstisch hinüber. Im Reflektor der Deckenlampe spiegelte sich das Operationsfeld.
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