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scherbenpark

scherbenpark

Titel: scherbenpark
Autoren: Alina Bronsky
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alle Kommata richtig setzte, taten die anderen, als würden sie sich für mich freuen. Und vielleicht war es auch so.
    Meine Mutter sagte, ich sollte meine Schulfreunde doch mal zu uns nach Hause einladen. Das sagte sie, weil sie keine Ahnung hatte. Sie lud ständig Freunde ein. Ich aber war zwei Mal bei Mädchen aus meiner Klasse zu Hause gewesen, bei Melanie und bei Carla, und konnte mir eine Umkehrung der Situation beim besten Willen nicht vorstellen.
    Keine Ahnung, was mich damals mehr erschüttert hat : die Ordnung in Melanies Zimmer oder die nach Politur riechenden Möbel, von denen ich früher gedacht hatte, dass sie nur im Katalog oder in Annas Fantasien vorkommen, oder die Tatsache, dass im Wohnzimmer an einem ovalen Tisch zu Mittag gegessen wurde und nicht in der Küche, oder die Bettwäsche mit Pferden. Ich hatte nie zuvor bunte Bettwäsche gesehen. Bei uns gab es nur weiße oder hellblau gemusterte, auf jeden Fall uralt und verwaschen. Ich fragte mich, wie man auf und unter diesen Pferden einschlafen sollte, ohne Augenflimmern zu bekommen.
    Melanies Mutter stammte übrigens aus Ungarn. Ich war sehr überrascht, denn erstens hatte Melanie das nie erwähnt, und zweitens sah das Mädel so bilderbuchmäßig deutsch aus wie kein anderes Mädchen inmeiner Klasse. Eben so, wie man sich als Ausländer eine junge Deutsche vorstellt, vor allem, wenn man das Inland noch nie betreten hat.
    Sie hatte frisch geschnittenes und ordentlich gekämmtes blondes Haar bis zum Kinn, blaue Augen, rosige Wangen und eine gebügelte Jeansjacke, roch nach Seife und sprach mit piepsiger Stimme Sätze aus überwiegend zweisilbigen Wörtern, die wie Erbsen aus ihrem Mund heraushüpften. Wenn ich sie nicht leibhaftig erlebt hätte, würde ich bis heute nicht glauben, dass es so jemanden wirklich gibt.
    Ihre Mama dagegen sprach mit einem Akzent, den ich bei meinem ersten Besuch noch nicht bemerkt hatte. Mein eigener rollte da noch so klappernd daher wie ein rostiges Fahrrad. Beim Mittagessen schaute sie mich mitleidig von der Seite an und stellte mir Fragen über meine Heimatstadt, das Wetter, meine alte Schule und meine Mutter.
    Ich erzählte, dass meine Mutter Kunstgeschichte studiert hatte und zu Hause in einer Theatergruppe aufgetreten war, die immer wieder verboten wurde, und dass sie sich hier auch ein kleines Theater zum Mitspielen suchen wollte. Melanies Mutter schluckte und ging zu der Frage über, ob das Leben in unserem Hochhaus nicht zu gefährlich sei. Ich sagte, dass es viel sauberer und gemütlicher ist als das Haus, in dem ich drüben gewohnt hatte. Zu Russland sagte ich immer »drüben«.
    Melanie kaute an ihren Quarktaschen und korrigierte die Mutter, wenn diese mal einen falschen Artikel verwendete. Außerdem berichtete Melanie ihrerMutter, dass wir in der Klasse eine Umfrage gemacht hatten zum Thema Geburtstagswünsche und dass dabei siebenmal der Wunsch nach einer neuen Stereoanlage geäußert worden sei.
    »Na und?« fragte die Mutter und kniff die Augen zusammen.
    »Weißt du nicht, was das bedeutet?« fragte Melanie und riss ihre blauen ganz weit auf. »Eine NEUE Stereoanlage. Das heißt, sie alle haben bereits eine. Und ich habe noch keine.«
    »Du hast doch eine in deinem Zimmer«, mischte ich mich ein, denn ich sprach zwar noch schlecht, aber dafür viel.
    »Das ist die, die mein großer Cousin aussortiert hat«, sagte Melanie. »Die kann gar nichts mehr, was eine Stereoanlage heutzutage können muss.«
    Nach dem Essen sind wir wieder auf ihr aufgeräumtes Zimmer gegangen. Dort schaltete Melanie die Stereoanlage ein. Ich entdeckte daneben einen Stapel alter »Bravos« und begann zu lesen. Melanie drehte sich unterdessen auf ihrem Bürostuhl und telefonierte mit einer Freundin. Dafür, dass wir uns nichts zu sagen hatten, fand ich die Zeit gut verbracht. Abends fuhr mich Melanies Mutter nach Hause, sah sich aufgeregt um und bestand darauf, mich zur Wohnungstür zu bringen und eine Übergabe an meine Mutter durchzuführen.
    Meine Mutter war allerdings nicht zu Hause. Ich hatte einen Schlüssel.
    »Besuch uns mal wieder«, sagte Melanies Mutter und tätschelte meine Wange.
    »Gut«, sagte ich und dachte mir: Nur, wenn es neue »Bravos« gibt.
    Danach sah ich unsere Wohnung mit anderen Augen.
    Ich stellte mir vor, wie die saubere Melanie in ihrer Jeansjacke mit mir im Aufzug fährt. Wie sie sich dabei genauso hektisch umsieht wie ihre Mutter. Wie ihr Seifenduft mit den Urindämpfen im Treppenhaus in einen
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