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Scherbenherz - Roman

Scherbenherz - Roman

Titel: Scherbenherz - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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leckten knisternd an der Rinde der Holzscheite. Eine angenehme Wärme erfüllte bald den Raum, und Janet merkte, dass ihre Backen angenehm heiß wurden. Eine Weile sprach keiner ein Wort. Aus der Küche kamen das blubbernde Geräusch der Kaffeemaschine und das gedämpfte Klappern mit Geschirr. Im Wohnzimmer herrschte zufriedenes Schweigen.
    Anne saß in einem Sessel dicht vor dem Kamin, ihre Züge entspannt im rötlichen Schein der Flammen. Sie hatte den Kopf an eine der Kopfstützen gelehnt, ein Glas Wein in der Hand, ein verhaltenes Lächeln auf den Lippen. Jedes Mal, wenn sie einen Schluck trank, schloss sie die Augen, um den Moment ganz allein zu genießen. Sie sah glücklich aus.
    »Das war wunderschön«, begann Charlotte unvermittelt. Sie hatten so lange geschwiegen, dass sie der Klang ihrer Stimme überraschte. Janet blinzelte. Anne drehte sich um und sah sie an.
    »Das Feuer meine ich«, erklärte Charlotte und sah von einem zur anderen. »Warst du schon eingeschlafen?«
    »Überhaupt nicht«, wehrte Anne steif ab, richtete sich in ihrem Sessel auf und strich ihren Rock glatt.
    »Doch, warst du, Mum. Hab dich ertappt.«
    »War ich nicht«, beharrte Anne, aber ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln.
    »Ist für dich schon Bettzeit?«, fragte Charlotte mit falscher Fürsorge. »Haben wir dich zu sehr angestrengt?«
    »Hör auf. Sei nicht so frech.«
    »Ja, Charlotte, du solltest dich über uns Ältere nicht lustig machen«, erklärte Janet ermutigt durch die lockere Atmosphäre.
    »Janet!«, schimpfte Charlotte. »Ich glaub es nicht! Du fällst mir in den Rücken!« Anne lächelte, und dann lachten alle drei und hätten beinahe das leise Klingeln eines Handys nicht gehört.
    »Wessen Handy ist das?«, fragte Anne. »Ich dachte, ich hätte meines ausgeschaltet.«
    »Das ist meines«, erwiderte Charlotte und warf einen Blick auf die Uhr. »Ich lasse es einfach klingeln.«
    »Du hättest es auf Lautlos stellen sollen«, sagte Anne mit leichtem Vorwurf in der Stimme.
    »Das tue ich normalerweise auch. Ich hab’s einfach vergessen.«
    Charlottes Lächeln verschwand. Ihr Mund wurde schmal. Sie war gereizt. Spannung lag in der Luft. Warum musste das sein, Anne, dachte Janet. Sie kann es einfach nicht lassen. Janet starrte ins Feuer und stocherte mit dem Schürhaken darin herum, nur um sich zu beschäftigen. Es war unglaublich, dachte sie, wie schnell ein kleines Missverständnis die beiden gegeneinander aufbringen konnte. Sie hoffte, dass Gabriel bald ins Zimmer zurückkehrte.
    »Wieso braucht Gabriel so lange mit dem Kaffee?«, erkundigte sich Charlotte, als habe sie Janets Gedanken erraten. Sie spielte mit ihren Ohrringen. Keiner sagte ein Wort. Und dann begann das Handy erneut zu klingeln. Anne sagte leise und strafend, dass jeder es hören konnte: »Tztz. Tztz.«
    »Entschuldige Janet. Ich gehe lieber dran.« Charlotte verschwand in den Flur. Sie kramte in ihrer Handtasche. Das Display flackerte in einem kalten blauen Licht, aber im Flur war es stockdunkel und sie hatte Mühe, das Telefon in dem Chaos aus Papiertaschentüchern, Visitenkarten und dem üblichen Krempel zu finden.
    »Hallo?«
    »Miss Redfern?«
    »Ja? Am Apparat.«
    »Evan Lewis hier. Vom London Bridge Hospital.«

Janet
    J anet wusste augenblicklich, dass etwas geschehen war, als Charlotte ins Zimmer zurückkam. Ihr Gesicht war bleich, die Züge schlaff, ihr Mund leicht geöffnet, so als sei sie unterbrochen worden, als sie gerade etwas sagen wollte, das Telefon in der Hand.
    Gabriel schenkte Tee ein. Er stellte die Kanne abrupt auf das Tablett zurück, als er ihre Miene sah.
    »Was ist passiert?«, fragte er. Er richtete sich auf, blieb jedoch unbeweglich stehen.
    Janet hielt den Atem an, wartete, dass jemand etwas sagte. Dann hörte sie ein Geräusch, das sie nicht orten konnte, bis sie sich umdrehte und Anne ansah. Anne saß vornübergebeugt im Sessel, die Arme überkreuz um den Oberkörper geschlungen, die Fingernägel durch die Seide hindurch ins eigene Fleisch gegraben. Sie schaukelte vor und zurück und stieß undefinierbare tiefe, spitze und schrille Töne zugleich aus. Ihr Weinglas war umgefallen. Ein tiefroter Fleck breitete sich langsam und dunkel über den Teppich aus.
    »Es war wegen Dad«, sagte Charlotte schließlich mit bis zur Unkenntlichkeit veränderter tonloser Stimme.

Charlotte
    C harlotte schloss fest die Augen, presste die Lider über die Augäpfel, verdrängte den bodenlosen schwarzen Abgrund, der sich vor ihr
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