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Scherbenherz - Roman

Scherbenherz - Roman

Titel: Scherbenherz - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag
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    Er lachte. »Richtig, Janet. Es ist besser, auf der Seite der Bösen zu stehen.« Damit wandte er ihr abrupt den Rücken zu und verließ den Raum. Janet fröstelte und zog ihre Jacke enger um sich.
    Janet sah ihm nach und entdeckte ein langes blondes Haar auf dem Rücken seines marineblauen Jacketts. Es reichte von seiner Schulter bis zu der Stelle zwischen seinen Schulterblättern, wo es in einer eleganten Locke endete. Sie fragte sich flüchtig, zu wem es wohl gehörte.
    Das war gleichzeitig das letzte Mal gewesen, dass Janet mit Charles gesprochen hatte. Wenige Wochen später lag er im Krankenhaus, worüber sie, wenn sie ehrlich sein sollte, nicht sonderlich traurig war. Dennoch ging ihr das Gespräch mit Charles nicht mehr aus dem Sinn. Es bestärkte sie in dem Wunsch, Anne eine gute Freundin zu sein, ihr eine Stütze in einem Leben zu sein, das ihr wie eine einzige Zerreißprobe vorkam. Denn obwohl Anne Janet nie etwas über ihre Ehe erzählte, sich ihre Gespräche auf prosaische Dinge und gelegentliche Missverständnisse beschränkten, spürte Janet, dass Charlotte und Anne ein Problem hatten, das sie untrennbar miteinander verband und sie doch immer weiter entfernte. Beide standen im übermächtigen Schatten eines Mannes, der ihrem Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl deutliche Grenzen setzte. Offen hatte Janet mit Anne jedoch nie über diese Dinge gesprochen.
    Sie wusste, dass Anne die Fassade, der äußere Eindruck ungeheuer wichtig war, dass sie das Gefühl brauchte, in ihrer Freundschaft den Ton anzugeben, so wie es ihr in der Ehe nie gelungen war. Janet störte das nicht. Sie konnte mit Annes Kränkungen und kaum verhohlener Reizbarkeit leben. Sie wusste, dass im Grund nicht sie, sondern Charles gemeint war. Das mochte gelegentlich schmerzlich sein, doch es beschäftigte Janet nie lange. Außerdem war Anne durchaus zu großzügigen, liebevollen Gesten fähig. Aber wann immer Janet Anne sah, erkannte sie in ihr eine Person, die ebenso einsam war wie sie. Und schon deshalb war der Wunsch groß, ihr einfach zu helfen.
    So kam es zu dieser Einladung zum Abendessen. Sobald Charlotte Ja gesagt hatte, wusste Janet, dass Anne die Gelegenheit, einen Abend mit ihrer Tochter zu verbringen, niemals ausschlagen würde. Ein Tapetenwechsel würde beiden guttun, holte sie raus aus ihrem Haus, ihrer Wohnung, lenkte sie ab vom Krankenhaus, gewährte ihnen ein paar entspannte Stunden. Seit Charles’ Fahrradunfall, und der war immerhin zwei Monate her, hatten sie in einem Zustand ständiger Anspannung gelebt. Und wie explosiv die Spannungen zwischen Mutter und Tochter waren, war auch für eine Außenstehende wie Janet nahezu greifbar. Janet befürchtete, Anne könne besonders in ihrer arroganten Ablehnung Gabriels irgendwann zu weit gehen und das Band mit Charlotte endgültig zerschneiden. Gabriel jedenfalls schien kein schlechter Kerl zu sein. Scheidungen waren mittlerweile etwas Alltägliches. Sie deutete nicht zwangsläufig auf einen Charakterfehler hin. Die Institution Ehe wurde eben nur häufiger infrage gestellt, und es war einfacher geworden, sich ihrer Fesseln zu entledigen. Paare fühlten sich nicht mehr verpflichtet, sie um ihrer Selbst willen aufrechtzuerhalten. Was Janet im Großen und Ganzen als sinnvoll erschien. Es war so einfach, einen Fehler zu machen, wenn man jung und unerfahren war und den Unterschied nicht abschätzen konnte, zwischen dem, was man selbst wollte und was andere von einem erwarteten. Sie hatte mit Nigel Glück gehabt. Sie hatten es eben beide gewusst.
    Letztendlich entschied sich Janet nach dem endlosem Kochbuchstudium gegen die Kaltschale und für ein Gericht aus gebratenem Huhn mit allen dazugehörigen Extras: Pastinaken, Kartoffeln, Brotsoße und einer Zitronen-Thymian-Füllung. Sie zog eine weite braune Hose und einen knielangen beigen Pullover an. Obwohl sie nie wie eine Frau aussah, die sich viel aus Mode machte, war sie, was die Qualität betraf, sehr speziell. Janet liebte weite Kleidung, die ihre rundlichen Formen kaschierte, und interessierte sich nur marginal für das, was gerade in Mode war. Sie zog Klassiker aus Kaschmir und feiner Strickware vor und gab mehr Geld für Kleidung aus, als man vermuten könnte.
    Als der würzige Duft knuspriger Hühnchenhaut die Küche erfüllte, klingelte es an Janets Haustür. Es war Viertel nach acht Uhr abends. Sie waren pünktlich.

Janet; Anne; Charlotte
    A ls sie die Tür öffnete, drängten sich alle drei einem
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