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Schattenseelen Roman

Schattenseelen Roman

Titel: Schattenseelen Roman
Autoren: Olga Krouk
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Baumwollschlüpfer mit bunten Tupfen und ein weißer BH - der Traum einer jeden Oma.
    »Hätte ich gewusst, dass ich entführt werde, hätte ich was Feineres angezogen«, erklärte sie dem Spiegelbild,
selbst über ihre Ruhe verwundert. Als ließe ihr Gehirn nichts Verstörendes zu, damit sie nicht durchdrehte und Amok lief.
    Evelyn öffnete den Schrank. Maßgeschneiderte Anzüge und Hemden reihten sich aneinander, einige in Folie verpackt. Der so oft totgesagte Mann hatte nicht nur Geschmack, sondern offenbar auch Geld. Viel Geld, wenn er sich Armani und Co. leisten konnte.
    Sie wählte ein hellblaues Hemd, dessen Saum ihr bis zur Mitte der Oberschenkel reichte, und krempelte die Ärmel hoch. Für die Hosen war sie eindeutig zu klein. Oder, wie sie selbst gern scherzte: zu komprimiert. Kurz drehte sie sich vor dem Spiegel und trat dann zur Tür. Der Augenblick der Wahrheit! Sie drückte die Messingklinke herunter. Zu ihrem Erstaunen gab die Tür nach, und Evelyn trat in den Flur. Sie war keine Gefangene, oder ihr Gefängnis begrenzte sich nicht auf das Schlafzimmer. Zu freundlich, dachte sie grimmig.
    Das Parkett fühlte sich kalt an unter ihren nackten Füßen, die auf dem polierten Holz feuchte Abdrücke hinterließen. Schräg gegenüber sah sie Schiebetüren aus Milchglas, die einen Spalt weit offen standen. Die Stimme ihres Entführers drang heraus: »Ja, ihr geht es so weit gut … Ich denke, schon.«
    Sie ertappte sich dabei, wie sie seiner milden Tonlage lauschte, in der sie Spuren von Mitgefühl zu erkennen glaubte. Auf Zehenspitzen schlich Evelyn heran und spähte ins Wohnzimmer. Mit dem Rücken zu
ihr lehnte der Mann an einem Tresen, der eine große, moderne Küche vom Wohnraum abgrenzte, und hielt sich einen Telefonhörer ans Ohr. Seine andere Hand spielte an einer mit roten Steinchen gefüllten Vase, in der Bambusstangen steckten. Allgemein hatte das Zimmer einen asiatischen Touch: der schwarz-weiße Teppich mit den Yin- und Yang-Symbolen, auf dem Couchtisch eine liebevoll frisierte Bonsai-Fichte.
    »Den Unfall hatte ich schlechter überstanden als gedacht. Die hätten mich fast erwischt«, redete er weiter, und diesmal gesellte sich Besorgnis in seinen Ton. »Hermann … Nein, hör mir bitte zu, wir müssen den Ball einige Zeit flachhalten. Ich möchte dich nicht in Gefahr bringen. Metamorphe sind mir dicht auf den Fersen, und sie werden sich nicht scheuen, dich zu foltern, um an mich ranzukommen.«
    Auf einem Gestell vor der Tür entdeckte Evelyn die Bronzestatue einer Frau. Evelyn wog das Kunstwerk in der Hand. Höchste Zeit für Plan A: dem Entführer damit eins über den Kopf zu ziehen und zu fliehen. Doch was so einfach klang, erwies sich in Wahrheit als problematisch. Sie fühlte sich so erschöpft, dass sie zweifelte, die Figur hoch genug heben zu können.
    Für die Entwicklung eines Plans B bekam sie keine Gelegenheit. Der Mann drehte sich um und zuckte zusammen, als er sie sah, während Evelyn fieberhaft nach einer Erklärung für die Bronzefrau in ihrer Hand suchte. Schließlich entschied sie sich, diesen Umstand totzuschweigen.

    »Sehe ich so schlimm aus?« Ihr Mund fühlte sich trocken an. Sie schmeckte etwas Fades auf der Zunge, und es erinnerte sie an eine ganz andere, frühere Evelyn, die mit ihrer Clique abends durch die Bars streifte und den Inhalt vieler Schnapsgläser in sich hineinkippte.
    »Ich habe dich nicht kommen hören. Du hast mich erschreckt, das ist alles.« Er drückte das Gespräch weg, legte den Hörer auf die Basisstation und kam auf sie zu.
    Mit dem Rücken drückte sich Evelyn gegen die verglaste Tür, vergeblich darum bemüht, ihre Angst zu kaschieren. Was würde er mit ihr anstellen? Hätte er sie töten wollen, hätte er es schon längst getan, beruhigte sie sich mit aller Kraft der Vernunft. Andererseits - es gab auch Schlimmeres als den Tod. Vielleicht sollte sie es doch mit Plan A probieren.
    »Wie fühlst du dich?« Den Ausdruck in seinen tiefblauen Augen vermochte sie nicht zu deuten. »Deine Kleidung hat etwas gelitten«, erklärte er mit einem kurzen Blick auf sein Hemd, nahm Evelyn die Statue aus der Hand und stellte das Kunstwerk auf das Gestell neben der Tür zurück. »Aber ich habe dir gestern etwas gekauft. Hoffentlich passt es.«
    »Gestern?«
    »Du warst … einen ganzen Tag lang nicht ansprechbar. Aber jetzt ist alles überstanden.«
    Sein Zögern entging ihr nicht, als hätte ihm zuerst etwas anderes auf der Zunge gelegen. Sie beschloss,
nicht
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