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Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse

Titel: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse - Heitmann, T: Schattenschwingen - Zeit der Geheimnisse
Autoren: Tanja Heitmann
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Ihnen schlicht begriffen, dass es bei mir nichts zu holen gibt.«
    »Die haben ja auch nicht mit deinem Vater gesprochen.«
    Ich trat so scharf auf die Bremse, dass ich beinahe die Gewalt über das Fahrrad verlor.
    »Niemand spricht mit Jonas, weil Jonas mit niemandem spricht. Das hat mir sein Arzt ziemlich genau erklärt.«
    Die Erinnerung an meinen Besuch in der psychiatrischen Klinik, in der Jonas untergebracht war, lag mir schwer im Magen. Herr Levander hatte mich begleitet, obwohl ich eigentlich hatte allein gehen wollen. Wir waren exakt bis ins Sprechzimmer des behandelnden Arztes, Dr. Felsenbruck, gekommen, der mir eröffnet hatte, dass Jonas auf keinerlei Ansprache reagierte. Obwohl der Arzt mich ermutigt hatte, den Kontakt zu ihm zu suchen, hatte ich auf die Begegnung mit einem mit Medikamenten ruhiggestellten Vater, der schweigend vor sich hin stierte, verzichtet. Zu tief lastete die Erinnerung an unser letztes Zusammentreffen auf mir.
    Das gerissene Grinsen auf Kraachtens hageren Zügen jagte mir einen Stich zwischen die Schulterblätter.
    »Zugegeben, es war nicht gerade ein Schwätzchen unter alten Kumpels mit Bristol Senior, aber ich hatte Gelegenheit, ihm zuzuhören, denn reden tut dein Vater unentwegt. Wenn du den Mumm aufgebracht hättest, ihm gegenüberzutreten, wüsstest du Bescheid. Aber du meidest deinen Daddy ja sogar dann, wenn er in einer Gummizelle sitzt. Wirklich sehr interessant, was deinen alten Herrn so alles umtreibt. Soll ich dir was verraten? Du bist nach wie vor ein Topthema für deinen Vater. Du und das, was ihm die Stimme darüber zuflüstert, wer du in Wirklichkeit bist.«
    »Und das wäre?«
    Kraachten kümmerte sich nicht darum, dass er mit seinem mitten auf der Fahrbahn parkenden Wagen den Verkehr blockierte und entsprechend angehupt wurde. Stattdessen fixierte er mich wie ein Raubtier, das auf den richtigen Moment wartete, um zuzuschlagen. Genüsslich leckte er über seine Lippen. »Kann ich dir leider nicht verraten. Berufsgeheimnis. Aber du weißt ja, wie das ist: Eine Hand wäscht die andere. Lieferst du mir eine Geschichte, dann muss ich der deines Vaters nicht länger nachgehen und kann endlich den Artikel schreiben, der bundesweit zur Sensation werden wird.«
    »Wow, ich glaube, dass nennt man Erpressung.«
    »So funktioniert die Erwachsenenwelt, Kleiner. Du wirst schon noch dahinterkommen.«
    »Bin schon dabei«, sagte ich, dann trat ich in die Pedale.
    »Hey, was ist nun: Interesse oder nicht?«, rief Kraachten mir hinterher, aber ich warf ihm nicht einmal mehr einen Blick zu. Mit meinen Gedanken war ich bei Jonas und der Frage, warum er immer noch nicht zur Ruhe kam, obwohl ihn keine Stimme aus der Sphäre mehr heimsuchte. Der Schatten war tot und Tote reden bekanntlich nicht.
    ∞∞
    Der Surfkurs war anstrengend, aber nicht anstrengend genug, um mich von meinen düsteren Gedanken abzulenken. Während ich das Lager für die Bretter dichtmachte, grübelte ich unentwegt weiter. Vorhin war ich drauf und dran gewesen, in Kraachtens Spatzenhirn einzudringen und mir die Antwort zu holen, die er mir freiwillig nicht geben wollte: als was mein Vater mich bezeichnet hatte. Vermutlich hätte ich es sogar getan, wenn ich ohne großes Aufhebens dazu in der Lage gewesen wäre.
    Seit ich jedoch Nikolai, hinter dessen äußerer Hülle sich der Schatten verbarg, besiegt hatte, war meine Aura so gut wie erloschen. Sogar meine rund um die Uhr eingezogenen Schwingen kribbelten bestenfalls milde, als besäßen sie kaum noch die Kraft, hervorzubrechen. In diesem Zustand war ich dem Sam nicht unähnlich, der vor fünf Monaten das letzte Mal als Mensch von der Klippe aus das nächtliche Meer betrachtet hatte. Der Sieg über Nikolai hatte mich einiges von meinem Schattenschwingen-Wesen gekostet, und darüber sollte ich verdammt noch mal glücklich sein. Je weniger Schattenschwinge ich war, desto leichter würde es mir fallen, mich in der mir fremd gewordenen Menschenwelt einzuleben. Leider schätzte ich mich deswegen nicht sonderlich glücklich, sondern sinnierte bei jeder Gelegenheit darüber, wie ich meine Aura aufleben lassen könnte. Ihr schwaches Glimmen setzte mir mehr zu, als wenn ich ein Bein verloren hätte.
    »Hey, Sammy. Hast du Lust, noch was mit deinen Kollegen trinken zu gehen?«
    Bevor ich auch nur einen klaren Gedanken fasste, wirbelte ich herum und packte denjenigen, der so völlig unbemerkt und viel zu dicht hinter mich getreten war, an der Trainingsjacke. Es war Max, einer
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