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Schattenmacht

Schattenmacht

Titel: Schattenmacht
Autoren: Anthony Horowitz
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parken, und mitten in die Menschenmenge zu fahren, war ebenfalls ausgeschlossen.
    Der Polizist winkte jetzt energischer.
    »Mum…?«, murmelte Daniel auf dem Rücksitz.
    »Haltet euch fest«, sagte Alicia.
    Sie drehte das Lenkrad nach rechts und trat das Gaspedal durch. Mit quietschenden Reifen schoss der Wagen vorwärts, den Hügel hinab auf die Menschenmassen zu.
     
    John Trelawny saß auf dem Rücksitz eines Cadillac-Oldtimers und neben ihm der Bürgermeister von Auburn. Wie gewöhnlich gehörte der Fahrer zum Geheimdienst. Warren Cornfield saß auf dem Beifahrersitz. Seine Augen waren hinter einer schwarzen Sonnenbrille verborgen. Zwei weitere Geheimdienstleute begleiteten das Cabrio zu Fuß. Trotz der Hitze und obwohl sie schon die ganze Strecke mitgelaufen waren, schwitzten sie kaum.
    Trelawny entdeckte seine Frau auf der Tribüne. Sie saß neben einer Dame, die er bereits am Morgen begrüßt hatte – der Frau des Bürgermeisters. Auch seine beiden Söhne waren da, und er wusste, wie unangenehm ihnen das war. Die beiden waren immer sehr schüchtern, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zeigen mussten.
    Sein Wagen hatte die Runde um die Tribüne fast beendet und würde gleich anhalten. Dann würde der Bürgermeister aussteigen, und die Reden würden beginnen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, wieder hier zu sein. Trelawny erinnerte sich noch gut daran, wie er als Kind auf diesen Straßen gespielt hatte. Und jetzt war er zurückgekehrt, fünfzig Jahre alt, und all diese Leute waren ihm zu Ehren gekommen. Er bedauerte nur, dass seine Eltern nicht mehr lebten und diesen Augenblick mit ihm teilen konnten. Außerdem hoffte er, dass die Reden nicht ewig dauern würden.
    Das Cabrio wurde langsamer und hielt. Warren Cornfield stieg als Erster aus. Er legte die Hand an den Türgriff, doch bevor er dem Senator die Tür öffnete, ließ er seinen Blick über die Menschenmenge schweifen.
    Rund fünfzehn Meter entfernt, in der Mitte der Tribüne, legte Mrs Mortlake Scott eine Hand auf den Arm.
     
    »Es ist so weit, mein Freund«, flüsterte sie. »Tu es jetzt.«
     
    Am Fuß des Hügels war eine Tankstelle, der einzige Betrieb, der an diesem Tag nicht geschlossen hatte. Alicia bog auf das Gelände ein und bremste an den Zapfsäulen scharf ab. Sie und Jamie stiegen aus, gefolgt von Daniel.
    »He!« Der Tankwart war aus seinem Büro gekommen. »Sie können hier nicht parken!«
    Aber sie waren schon losgerannt und drängten sich durch die Menschenmassen. Alicia wusste, dass sie in Gefahr waren. Der Polizist auf der Brücke hatte gesehen, was sie gemacht hatten, und er hatte seine Kollegen sicher über Funk verständigt. Es war ein Präsidentschaftskandidat in der Stadt, und jeder, der sich merkwürdig benahm, musste schnell unschädlich gemacht werden. Im Klartext hieß das: erst schießen, dann Fragen stellen. Jetzt wünschte Alicia, sie hätte Daniel nicht mitgenommen.
    »Wie sollen wir ihn finden?«, rief Jamie.
    Er war überwältigt: Tausende von Menschen, die Blaskapellen, die immer noch spielten, die Transparente, das grelle Sonnenlicht und die Unmengen von Fahnen. Er hatte das Gefühl, zu ersticken. Die Wunde in seiner Schulter pochte. Einen Moment lang verlor er Alicia aus den Augen.
    »Pass doch auf!« Er war mit einer Familie zusammengestoßen. Der Vater war ein fetter Mann mit einem Homer-Simpson-TShirt. Er funkelte ihn erbost an.
    Alicia war direkt hinter Jamie und hielt Daniels Hand fest umklammert. »Benutze deine Kraft!«, rief sie Jamie zu. »Dann findest du Scott und brauchst nicht alles nach ihm abzusuchen.«
    Natürlich. Er brauchte nicht zu suchen, sondern nur zu denken. Wenn Scott in der Nähe war, würde er ihn spüren. Er wandte den Kopf…
    … und sah seinen Bruder.
    Scott! Er war wirklich da!
    Anfangs erkannte Jamie ihn fast nicht. Scott saß so still. Und er war so blass, als wäre alles Leben aus ihm herausgesaugt worden. Er trug jetzt einen Kurzhaarschnitt, der nicht zu ihm passte, und er war mit einem schwarzen Anzug viel zu gut angezogen. Es war Scott, aber irgendwie war er es nicht. So hatte Jamie ihn noch nie gesehen, und es machte ihm Angst.
    Er bemerkte die Frau, die neben ihm saß, und erkannte sie sofort, obwohl er sie erst einmal gesehen hatte… und das auch nur sehr kurz. Sie gehörte zu Nightrise. Sie war aus dem Büro in Los Angeles gekommen, als er und Alicia dort im Auto gesessen hatten. Sie wandte den Blick nicht von Scott ab. Sie erinnerte ihn an eine Mutter, die ungeheuer
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