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Schattenjahre (German Edition)

Schattenjahre (German Edition)

Titel: Schattenjahre (German Edition)
Autoren: Penny Jordan
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ich’s dir, und du reichst es dann an Camilla weiter, sobald du damit fertig bist.“
    „Wo willst du die Bücher lesen?“, erkundigte sich Faye nervös. „Hier – oder …?“
    „In der Bibliothek. Charles soll dort Feuer im Kamin machen.“
    Obwohl Sage wusste, wie sinnlos es war, die unangenehme Aufgabe hinauszuschieben, verursachte sie eine Verzögerung. Brauchte sie wirklich ein Kaminfeuer in der Bibliothek? Die Zentralheizung spendete genug Wärme. Dieser Einblick in die eigene Psyche verwirrte sie. Wovor fürchtete sie sich? Vor der Bestätigung, dass ihre Mutter sie nicht liebte? Hatte sie diesen Gefühlsmangel nicht schon vor vielen Jahren akzeptiert? Oder graute ihr davor, die andere, tiefere, immer noch schmerzhafte Wunde wieder aufzureißen – Berichte über jene Zeit zu lesen, die sie aus ihrem Gedächtnis verbannt hatte? Was jagte ihr solche Angst ein?
    Nichts, sagte sie sich energisch. Es gab nichts zu befürchten – gar nichts. Sie griff nach ihrer kaffeebraunen Leinenjacke, die sie über eine Stuhllehne gelegt hatte, und nahm den Schlüsselbund der Mutter aus der Tasche.
    „Die Tagebücher liegen in den Schubladen auf der linken Seite des Schreibtisches“, erklärte Camilla leise. Dann fragte sie unsicher, als spürte sie, was Sage erfolgreich zu verbergen glaubte: „Sollen wir – dich begleiten?“
    Sages Miene wurde etwas sanfter, dann erwiderte sie mit leichtem Spott: „Ich werde nur Tagebücher lesen, Camilla – kein Werk über mittelalterliche Hexenkünste.“ Rasch stand sie auf und ging zur Tür, wo sie sich noch einmal umdrehte. „Dinner um halb neun – wie üblich?“
    „Ja“, antwortete Faye, „aber das lässt sich ändern, wenn du es möchtest.“
    Sage schüttelte den Kopf. „Bis acht lese ich die Tagebücher, dann rufen wir in der Klinik an.“
    Sie schloss die Tür hinter sich und blieb eine Weile in der Halle stehen. Der Frühlingssonnenschein verlieh der Täfelung die Farbe dunklen Honigs, beleuchtete die hohen Zinnkrüge mit den Blumen, die riesige Steinhöhle des alten Kamins.
    Die Bibliothek lag auf der anderen Seite der Halle, gegenüber dem Wohnzimmer. Sie starrte die Tür an, dann eilte sie in die Küche und bat Charles, Feuer im Kamin zu machen.
    Während er sich darum kümmerte, stieg sie die Treppe hinauf. Anlässlich ihres achtzehnten Geburtstags war ihr Zimmer neu eingerichtet worden. Die Mutter hatte die Möbel und die Farben ausgesucht, als Überraschung, und – wie Sage zugeben musste – eine gute Wahl getroffen.
    Statt zarter Pastelltöne – zu langweilig für Sages Geschmack – herrschten Farben vor, die sie liebte. Blau, Rot und Grün betonten die Schönheit der Wandtäfelung. Das große Vierpfostenbett bestand aus Holz, das dem Wald von Cottingdean entstammte. Ihr Name und ihr Geburtsdatum waren eingraviert, ebenso Porträts von den Haustieren ihrer Kindheit. Mit dem Entwurf dieses Betts hatte sich die Mutter viel Mühe gegeben und die Herstellung persönlich überwacht. Für jeden anderen Menschen wäre es eine Liebesgabe gewesen, aber Sage sah darin nur einen Ausdruck mütterlicher Pflichterfüllung. Die Tochter war achtzehn geworden, und deshalb hatte sie ein besonderes Geschenk erhalten müssen.
    Im angrenzenden Bad, schlicht und reinweiß, wusch sich Sage die Hände, frischte ihr Make-up auf und bürstete ihr Haar. Freudlos lächelte sie in den Spiegel. Versuchte sie immer noch, den großen Augenblick hinauszuzögern? Warum? Sie kannte die Lebensgeschichte der Mutter genauso gut wie alle Dorfbewohner – eine makellose Biografie, einer Heiligen würdig.
    Als junge Ehefrau war sie hierhergekommen, mit einem Mann, dessen Gesundheit der Krieg zerstört hatte. Sie waren einander in der Klinik begegnet, wo Liz als Aushilfskrankenschwester gearbeitet hatte, und nach der Hochzeit nach Cottingdean gezogen. Liz’ Mann hatte das Landgut von einem Vetter geerbt. Unermüdlich arbeitete sie, um das baufällige Haus zu renovieren und die vernachlässigte Schafzucht rentabel zu machen. Nun produzierte sie Schafwolle von hoher Qualität. Wie es ihr gelungen war, dieses Ziel zu erreichen und auch noch die heruntergewirtschaftete Spinnerei auf Vordermann zu bringen, hatte Sage nie erfahren. Zum ersten Mal regte sich Neugier in ihr.
    Liz hatte dem Dorf zu Wohlstand verholfen, Cottingdean neues Leben eingehaucht. Jeder Einheimische kannte die Freuden und Kümmernisse ihres Schicksals und entsann sich, wie sie gekämpft hatte, um das Leben ihres Mannes zu
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