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Schattenblume

Schattenblume

Titel: Schattenblume
Autoren: Karin Slaughter
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schieben. Nicht dass Sara den Mut dazu gehabt hätte. Denn so gut wie Marla über alle und alles Bescheid wusste, so wenig ließ sie die Leute an sich heran. Sie war verwitwet und hatte keine Kinder. Ihr Mann war im Zweiten Weltkrieg gefallen. Sie wohnte auf der Hemlock, zwei Straßen von Saras Elternhaus entfernt. Sie strickte, unterrichtete in der Sonntagsschule und arbeitete Vollzeit auf dem Revier, wo sie sich ums Telefon und den Papierkram kümmerte. All das sagte allerdings nicht viel über Marla Simms aus. Und doch hatte Sara das Gefühl, dass es noch mehr gab im Leben dieser Frau von achtzig Jahren, auch wenn Marla die meiste Zeit davon in dem Haus verbracht hatte, in dem sie zur Welt gekommen war.
    Brad setzte seine Führung durch die Wache fort und zeigte auf den großen offenen Raum hinter Marla. «Da hinten erledigen die Kriminalbeamten und die Streifenpolizisten ihre Arbeit   … Telefonanrufe und so weiter. Zeugen befragen, Berichte schreiben, Sachen in den Computer eingeben, und, äh   …» Er brach ab, als er merkte, dass ihm keiner zuhörte. Die meisten Kinder konnten kaum über den Tresen sehen. Und selbst wenn – dreißig leere Schreibtische in Fünferreihen, dazwischen verschieden große Aktenschränke, waren nicht unbedingt ein fesselnder Anblick. Sara schätzte, die Kinder bereuten bereits, dass sie nicht in der Schule geblieben waren.
    Doch Brad versuchte es weiter. «Ich zeige euch gleich die Gefängniszellen, wo wir die Verbrecher festnehmen   … ich meine, nicht wo wir sie festnehmen», er blickte nervös zu Sara. «Also, hier stecken wir sie rein, nachdem wir sie festgenommen haben. Also, nicht hier, sondern ins Gefängnis.»
    Schlagartig wurde es still, dann begann plötzlich jemand hinten in der Gruppe zu kichern. Sara, die die meisten der Kinder aus der Kinderklinik kannte, schaffte es, ein paar von ihnen mit einem strengen Blick zum Schweigen zu bringen. Um die Restlichen kümmerte sich Marla. Ihr Drehstuhl ächzte erleichtert, als sie sich aufrichtete und sich über den Tresen beugte. Wie auf Knopfdruck brach das Kichern ab.
    Maggie Burgess, ein Mädchen, das von seinen Eltern ernster genommen wurde, als ihm gut tat, meldete sich mit Piepsstimme zu Wort: «Hallo, Frau Dr.   Linton.»
    Sara nickte ihr zu. «Hallo, Maggie.»
    «Ähm», begann Brad wieder. Sein sonst milchweißes Gesicht war tiefrot angelaufen. Sara entging nicht, dass sein Blick ein wenig zu lang an ihren nackten Beinen klebte. «Ihr   … äh   … ihr kennt ja alle Dr.   Linton.»
    Maggie verdrehte die Augen. «Natüüürlich», sagte sie, und ihr respektloser Ton brachte wieder ein paar Kinder zum Lachen.
    Doch Brad fuhr unbeirrt fort. «Dr.   Linton ist auch die Gerichtsmedizinerin bei uns in der Stadt, neben ihrer Arbeit als Kinderärztin.» Er schlug einen pädagogischen Ton an, obwohl mit Sicherheit alle Kinder von Saras zweitem Standbein wussten. Das Thema wurde an den Wänden der Schultoiletten ausführlich abgehandelt. «Ich nehme an, Sie sind dienstlich hier, Dr.   Linton?»
    «Ja», antwortete Sara. Sie versuchte, wie eine Kollegin zu klingen, nicht wie die Ärztin, die sich noch gut daran erinnerte, wie Brad früher in Tränen ausgebrochen war, wenn er nur das Wort Spritze gehört hatte. «Ich bin hier, um mit dem Polizeichef über einen Fall zu sprechen, an dem wir arbeiten.»
    Maggie sperrte wieder den Mund auf, wahrscheinlich um zu wiederholen, was ihre Mutter über Saras und Jeffreys Beziehung gesagt hatte, doch Marla quietschte mit dem Stuhl und das Mädchen blieb still. Sara schwor sich, am nächsten Sonntag in die Kirche zu gehen und für Marla eine Kerze anzuzünden.
    Doch Marla klang kaum respektvoller als Maggie, als sie zu Sara sagte: «Ich werde mal nachsehen, ob Chief Tolliver Zeit hat.»
    «Danke», antwortete Sara und strich den Plan mit der Kirche.
    «Schön, dann   …», begann Brad und wischte noch einmal über seine Mütze. «Dann lasst uns mal nach hinten gehen.» Er hielt die Schwingtür auf, um die Kinder durchzulassen, sagte zu Sara: «Ma’am», und nickte höflich, bevor er seinen Schützlingen folgte.
    Sara ging hinüber zu den Fotos an der Wand und betrachtete die vertrauten Gesichter. Bis auf die Zeit am College und am Grady Hospital in Atlanta hatte Sara immer in Grant County gelebt. Die meisten Männer hier an der Wand hatten das ein oder andere Mal mit ihrem Vater gepokert. Von den restlichen war einer Diakon in der Kirche gewesen, als Sara klein war, ein anderer
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