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Schattenblüte. Die Erwählten

Schattenblüte. Die Erwählten

Titel: Schattenblüte. Die Erwählten
Autoren: Nora Melling
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und gebe auf. Der Schmerz bohrt sich in mich wie ein spitzer Stein, lässt mich meine Rippen spüren und jeden blauen Fleck unter meiner Haut.
    «Ist es noch schlimm?», fragt Thursen.
    «Ich weiß nicht. Vorher war es viel schlimmer, oder?»
    «Zeig mal.» Er hilft mir, mich aufzusetzen und die Jacke auszuziehen.
    Vorsichtig drehe ich die Schulter und strecke den Arm, um ihn aus dem Ärmel rutschen zu lassen. «Autsch!», presse ich zwischen den Zähnen hervor. Ich kneife die Augen zusammen und versuche, nicht zu laut zu jammern. Ich weiß, dass es sein muss, dass ich mich verbinden lassen muss, um zu heilen und er mir nur dabei hilft. Trotzdem. Wäre ich Wolf, nur Wolf –
    Da hält er inne. «Shorou! Sieh mich an. Bleib bei mir, hörst du?»
    Habe ich die Augen noch immer geschlossen? Ich öffne sie und halte mich an seinem Blick fest, damit ich nicht doch wieder zum Wolf werde aus Furcht vor dem Schmerz. Kalt ist es. Kalt, dort, wo ich die Jacke von meiner Menschengestalt abgeschält habe und der Winter auf einmal so nah kommen kann. Ein Schauder überläuft mich. Die Muskeln schmerzen noch mehr, jetzt, wo die Kälte sie verkrampft. Und ich stöhne doch.
    Thursens Gesicht spiegelt meinen Schmerz. «Mein Gott, Luisa.»
    Luisa? Wer soll das sein? Ich mag es nicht, wenn er mich ansieht und dabei diesen fremden Namen flüstert. Thursen gehört doch zu mir, mir, Shorou! Sein Blick hält meinen. Einen winzigen Moment lang erscheint eine Falte zwischen seinen Augenbrauen. Kann er wissen, was ich denke? Dass ich ihn niemals teilen will mit einer anderen? Denn jetzt sagt er: «Shorou. Shorou, komm. Lass mich das ausziehen.»
    Gehorsam versuche ich, die Arme zu heben. Langsam, ganz langsam gelingt es. Er streift mir den Pullover über den Kopf. Und die Kälte beißt jetzt unmittelbar in meine Haut, meine Schultern, meine nackten Arme. Seine Hände fassen nach dem Verband, den er um mich geschlungen hat. Das Verbinden war er, das weiß ich. Er hat es getan mit seinen rauen, aufgesprungenen Händen. Er sollte nicht hier sein, bei mir, in der Kälte des Waldes. Er ist ein Mensch und gehört nicht hierher. Doch ich bin so dankbar, dass er trotz allem da ist, denn wie sollte ich sonst überleben, ohne ihn?
    Ich wimmere, als er beginnt, den Verband abzuwickeln. Eine Lage, zwei. Seine Hände arbeiten sicher und ohne zu zögern. Auch die dritte Lage löst sich, Thursen wickelt langsamer. Ab hier ist der schmale Verband mit dunklem Blut getränkt. Altes Blut, Stunden alt, denn jetzt blute ich nicht mehr. Thursen zupft vorsichtig am Streifen, und ich umklammere seine Schulter, beiße die Zähne zusammen, um nicht aufzuschreien. «Nein, hör auf!», bitte ich.
    «Es geht auch eh nicht. Hier sitzt der Verband fest. Es tut mir leid.» Er seufzt. Gibt auf und wickelt den langen Verbandstreifen lose wieder um mich.
    Der Verband sitzt fest. Ich weiß, was das heißt. Der Verband ist nicht nur verklebt, sondern mit meiner Haut verwachsen, so wie ein Zaundraht mit den Jahren in einen Baum wächst. Bei mir geht so etwas in Stunden. Ich heile zu schnell, sagt Thursen. Er muss den Stoff aus meiner Haut herausschneiden, anders bekommt er ihn nicht ab.
    «Ich hab was, das hilft wenigstens etwas.» Er sieht mich nicht an, als er in seiner Jackentasche sucht und mir dann fast bittend die Handfläche entgegenstreckt, auf der zwei Tabletten liegen. Dankbar nehme ich die Schmerzmittel. Ich schlucke sie mit dem Rest Wasser aus meiner Flasche, die immer neben meinem Lager steht.
    «Mir ist kalt.» Ich hätte gerne wieder mein Fell, doch Thursen hilft mir meine Jacke überzuziehen, während wir warten, dass die Tabletten wirken. Ich habe seit meiner Verwandlung zum Werwolf vieles, so vieles vergessen, aber nicht den Schmerz vom letzten Mal, als Thursen den blutverkrusteten Stoff halb aus meiner Haut geschnitten und halb gerissen hat. Ich taste nach Thursens Hand und bin dankbar, dass er sie drückt, ohne zu fragen.
    «Komm her», sagt er, öffnet seinen Mantel, zieht mich an sich und legt seine Arme um mich. Wir wickeln uns beide in den Schlafsack, in dem er die Nacht verbringt, nur um bei mir zu sein. Hier, mitten im Nichts. Bestimmt bin ich heute kräftig genug für den Weg ins Wolfslager. Dann kann er dort schlafen, denn er hat kein Fell für die Nacht, und im Lager gibt es Hütten und Höhlen, sagt Haddrice. Ich höre seinem Herz beim Schlagen zu, bis mein Magen sich knurrend meldet.
    «Hunger?», fragt Thursen. Als ich nicke, schält er sich aus
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