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Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Schatten Gottes auf Erden (German Edition)

Titel: Schatten Gottes auf Erden (German Edition)
Autoren: Elisabeth Hering
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Ungarn die Pfaffen ihre Litaneien sangen? Und kam es überhaupt darauf an, dass man verstand? Und nicht vielmehr darauf, dass man sich einreihte – hineinwuchs in eine Ordnung, die dadurch Gültigkeit hatte, dass sie eine Gemeinschaft zusammenfügte?
    Janitscharen. Ja, sie waren eine Gemeinschaft. Zusammengeraubte Knaben aus allen von den Türken heimgesuchten Ländern der Christenheit, kannten sie keinen Vater, keine Mutter, keine Heimat, keine Familie, kein Vaterland. Türken wurden ihre Erzieher, im Islam wuchsen sie heran, verloren ihren Christenglauben, vergaßen ihre Muttersprache. Ganz oder doch fast ganz.
    Der Sultan wurde ihr Vater, die Orta ihre Familie, der Ortschak ihre Heimat, das Feldlager ihr Vaterland, der Krieg ihr Gewerbe, der Islam ihr Glaubensverband. Eine verschworene Gemeinschaft waren sie, die jeden, der in ihre Reihen trat, wie einen Blutsbruder aufnahm, aber auch jeden, der aus der Reihe sprang, wie einen Abtrünnigen hassten und bis in den Tod verfolgte.
    Als Christ war mein Vater in ihre Gewalt geraten. Den Tod hatten sie über ihn verhängt. Als Moslem ließen sie ihn auferstehen.
    Während ich dieses niederschreibe, ist mir zumute, als hätte ich es selbst erlebt, so deutlich fühle ich in meiner eigenen Seele den Schmerz, den ein solcher Umbruch im Innern eines Menschen erzeugt. Was für eine Macht gibt es, die in einem kräftigen, gesunden jungen Körper gebieterischer wäre als der Wille zum Leben? Und er befahl meinem Vater: Füge dich jenen, die Gewalt über dich haben! Aber eine feinere Stimme, die dennoch unüberhörbar war, flüsterte mahnend und gleichzeitig tröstend: das alles ist nur außen. Innen kannst du bleiben, der du immer warst. Bewahre dein Leben, dann wirst du ihnen eines Tages schon entkommen.
    Diese Hoffnung erfüllte sich meinem Vater fürs Erste freilich nicht. Denn Bajazid vermochte seinen Sieg über die Christen nicht auszunützen, nicht weiter in ihre Länder vorzustoßen, da ein anderer, noch mächtigerer Feind ihn im Rücken bedrohte. So blieb es meinem Vater erspart, gegen ehemalige Waffengenossen zu Felde ziehen zu müssen, wurde ihm aber auch unmöglich gemacht, zu ihnen überzulaufen.
    Nachdem sich der Sultan von seinen Verlusten erholt und seine Truppen neu formiert hatte, musste er sie über den Bosporus werfen und in Gewaltmärschen nach Osten eilen, da der Emporkömmling Timur, der lahme Tatare, der sich zum Herrscher Mittelasiens aufgeschwungen hatte und gleich einem Dschingis-Chan die Welt zu erobern trachtete, in Anatolien eingefallen war.
    Bei Angora stießen die beiden Heere aufeinander. Aber Bajazid wurde geschlagen und geriet samt seinem Harem in die Gefangenschaft des Tataren. Und auch mein Vater entging diesem Schicksal nicht.
    Das war die zweite Etappe auf seinem Wege nach Samarkand.
    Die Dritte war Georgien.
    Der Winter stand vor der Tür, und Timur wusste für sich und seine Krieger etwas Besseres, als im unwirtlichen Mittelasien den Schneestürmen standzuhalten. Er nahm also seinen Weg durch dieses unglückliche Land, das, von hohen Gebirgen vor den Unbilden des Wetters geschützt, mit seinem milden Klima, seiner Fruchtbarkeit, seinen Schätzen, die es dem Fleiß seiner Bewohner verdankt, immer wieder beutegierige Feinde anlockt, und das auch er bereits viermal heimgesucht und verheert hatte. Der Sultan, sein gefangener Feind, den er in einer vergitterten Sänfte wie in einem Käfig hinter sich herschleppen ließ, starb freilich unterwegs, aber die Frauen seines Harems, die mit ihrem Herrn in die Hand des Tataren geraten waren, mussten dem Sieger folgen über Berg und Tal.
    Mein Vater gehörte zu jenen Gefangenen, die zu ihren Sänftenträgern ausersehen waren. Sie schleppten die schwere Last über Stock und Stein, und wehe dem, der zusammenbrach. Es wurde dafür gesorgt, dass er nicht wieder aufstand. Als sie in Georgien ankamen, hatte kaum die Hälfte von ihnen den Weg überstanden.
    Die erste Rast machten sie in einer halb zerstörten Stadt, deren Bewohner geflüchtet waren. Die Frauen erhielten Quartier in einem der wenigen noch unbeschädigten Häuser – es war dies ein festes steinernes Gebäude mit vergitterten Fenstern. Hier erst wurden auch den Sänftenträgern die Fesseln abgenommen, die sie während des ganzen Marsches hatten tragen müssen. Da die tatarischen Posten Tag und Nacht vor dem Haus Wache standen, war ein Entkommen der Gefangenen nicht zu befürchten.
    Der schlaue Timur ließ seine Gefangenen keinen Mangel leiden.
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