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Schalom

Titel: Schalom
Autoren: Carl Hanser Verlag
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ein so großes Familientreffen erlebt zu haben, und auch dieses Glück war Gil zu verdanken.
    Sie sah, dass Jaki seiner Frau etwas zuflüsterte, und obwohl sie nicht verstanden hatte, was er sagte, war sie sicher, dass es um Gil gegangen war. Vielleicht hatte er gesagt, jetzt fehle nur noch Gil.
    Nun, sie würde ihn nicht korrigieren und sagen, dass außer Menachem auch Orli fehlte, Avris und Vickys andere Tochter, und natürlich die beiden Kinder, die Jaki dort zurückgelassen hatte, aber was Gil betraf, konnte sie sich nicht zurückhalten.
    »Macht euch keine Sorgen wegen Gil«, sagte sie, »es ist ihm nichts zugestoßen.« Sie verstand nicht, warum sich auf einmal eine seltsame Stille ausbreitete. Sie hatte doch nur die Spannung lockern wollen – und nun war die Spannung noch gestiegen.
    Sie schaute Avri fragend an, doch er blickte nicht von seinem Teller auf und sagte kein Wort. Sie schaute Jaki an und wollte schon fragen, was nicht in Ordnung sei, aber Jaki kam ihr zuvor und fragte sie, woher sie diese Sicherheit nahm, dass mit Gil alles in Ordnung sei.
    »Vater hat es mir gesagt«, sagte sie, und wieder wunderte sie sich, warum alle so stumm waren.
    Bestimmt glaubten jetzt alle, sie sei verrückt geworden. Aber Menachem hatte es ihr doch tatsächlich gesagt.
    Avri antwortete im Ton eines Krankenpflegers. »Schon gut, Mutter, möchtest du ein bisschen Salat?«
    »Avri!«, sagte sie wütend.
    »Nun, wirklich, Mutter«, brach es aus Avri heraus. »Vater hat es dir gesagt? Vater ist tot! Er kann dir schon seit Jahren nichts mehr sagen!«
    »Und wieso bist du dir da so sicher?«, fragte sie.
    Sie wusste nicht, wie sie ihnen von Menachem erzählen sollte, ohne dass sie glaubten, sie hätte den Verstand verloren. Sie konnte ihnen doch nicht erzählen, dass er versprochen hatte, sie bald zu sich zu holen. Und es war sinnlos, über die erstaunliche Ähnlichkeit zwischen ihm und Gil zu reden, das konnten sie schließlich selbst sehen. Und von den Gedanken, die diese Ähnlichkeit hervorrief, konnte sie niemandem erzählen.
    Das Klingeln des Telefons unterbrach ihre Gedanken. Vicky bat Na’ama, ans Telefon zu gehen, und Nechama wusste nicht mehr, was sie hatte sagen wollen. Sie aßen weiter, bis Na’ama plötzlich laut aufschrie und alle sich verwundert zu ihr umdrehten.
    »Moment mal, wer spricht da?«, rief sie. Alle starrten sie gespannt an.
    »Wer, Gil? Gil Silber?«
    Jaki und seine Frau schoben ihre Stühle zurück und sprangen auf.
    »Gil, Gil, Gil, Gil!«, schrie Na’ama und schwenkte den Hörer hin und her.
    Avri erreichte das Telefon als Erster, er riss Na’ama den Hörer aus der Hand. »Wo bist du?«, fragte er und sagte, er solle sofort ein Taxi nehmen und keine Kosten scheuen, weil ihn hier eine Überraschung erwarte.
    »Keine Überraschung«, sagte Jaki, »ich möchte mit ihm sprechen.« Bevor Avri ihn daran hindern konnte, hatte sein Bruder ihm den Hörer aus der Hand genommen, und Anna klammerte sich an ihn und versuchte, mit dem Ohr so nahe wie möglich an die Muschel zu kommen. Auch die anderen sprangen von ihren Plätzen auf, nur Nechama blieb am gedeckten Tisch sitzen.
    Alle sprachen auf einmal und waren so aufgeregt, dass sie nicht genau verstand, was Jaki am Telefon sagte. Sie schob den Stuhl etwas zurück und drehte sich zu ihnen um. Na’ama hörte nicht auf, vor Freude herumzutanzen, und sogar Guy lächelte jetzt. Jaki sprach in den Hörer: »Schon gut, du wirst noch genug Zeit haben, uns alles zu erzählen, nimm jetzt ein Taxi und komm hierher! Hörst du? Alle warten hier auf dich! Sag Mutter noch schnell Schalom und komm!«
    Als er seiner Frau den Hörer hinhielt, gab er ihr einen Kuss und kam dann herüber, zu ihr, seiner Mutter, die sich von seinem glücklichen Lächeln anstecken ließ.
    Sie stand auf und er umarmte sie. Noch nie hatte er sie so heftig umarmt. Weinte er? Es kam ihr vor, als zittere er. Sie bewegte den Kopf zur Seite, um ihn anschauen zu können, dabei sah sie die Frau, die hinter Jakis Rücken stand und sie schweigend und lächelnd ansah.
    So stand Nechama da, festgehalten von den Armen ihres Sohns, und schaute seine Frau an. Ihre Blicke trafen sich. Zu ihrer eigenen Verwunderung empfand sie das starke Verlangen, seine Frau in diese Umarmung einzuschließen. Sie nahm die Hand von Jakis Rücken, um sie einladend auszustrecken, doch sie wagte es dann doch nicht. Jaki, der offenbar ihre Unentschlossenheit spürte, drehte sich um, streckte den Arm aus und zog seine Frau in die
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