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Schärfentiefe

Titel: Schärfentiefe
Autoren: I Mayer-Zach
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könnten, dass es Ihnen einfach nicht möglich gewesen ist, ihn zu retten. Aber ich denke an die anderen, noch lebenden Opfer, denen nicht geholfen wäre, wenn plötzlich alles an die Öffentlichkeit gezerrt würde. Es ginge auf ihre Kosten, und ich mag nicht entscheiden, was besser ist: dass die Öffentlichkeit über Urbans wahres Tun informiert wird oder dass die Opfer Ruhe finden und ein neues Leben beginnen können. Ich werde diese Fragen zuerst für mich beantworten müssen, bevor ich etwas unternehme.“
    Krein nickte.
    „Heute tut es mir leid, dass ich nicht wenigstens versucht habe, Urban zu retten. Wahrscheinlich wäre es mir ohnehin nicht gelungen, da haben Sie sicherlich recht, aber versuchen hätte ich es zumindest müssen. Das wollte ich Ihnen nur noch sagen.“
    Er sah sie ernst an. Krein hatte das nicht gesagt, weil er Angst davor hatte, dass Paula ihn anzeigen könnte, das war ihr klar. Er hatte nichts mehr zu verlieren, egal ob ihm der Prozess gemacht wurde oder nicht.
    „Ich weiß noch nicht, wie ich mich entscheiden werde“, wiederholte sie. Sie stand auf, holte eines der Plüschschweinchen hervor, stellte es vor Krein auf den Tisch und wünschte ihm ein gutes neues Jahr. Es klang nicht zynisch. Dann verließ sie den Raum.

    5.
    Santo holte sie persönlich vom Empfang ab.
    „Paulinchen, ich bitte dich, alles, was auch immer du jetzt hören wirst, kommentarlos über dich ergehen zu lassen. Gleich kommt Doktor Nieder von Comm4Syst, dem Hauptsponsor der Veranstaltung und Auftraggeber der Biografie. Sag bitte zu allem, was er dir sagen wird, Ja und Amen oder noch besser: Sag gar nichts, lass mich reden. Vom Verlauf dieses Gesprächs hängt viel ab – für die Zukunft der Agentur und der Leute hier. Ich weiß, dass dir die Biografie am Herzen liegt, und ich weiß auch, dass du willst, dass alles seine Richtigkeit hat. Aber bitte hör einfach nur mal zu, und wir treffen dann die Entscheidungen, wenn wir wieder allein sind.“
    Es war immer wieder interessant, die Meinung anderer Leute über sich zu erfahren. Für Santo war sie – überspitzt formuliert – wohl eine kleinliche Gerechtigkeitsfanatikerin, die ihre Klappe nicht halten konnte. Womit er gar nicht so falsch lag.
    Doch in diesem Fall hatte er unrecht. Es lag ihr überhaupt nichts mehr an der Biografie, und wenn er ihr sagen würde, dass sie alles, was sie bisher dafür gemacht hatte, in den Müll kippen sollte, so hätte sie das vermutlich mit Freuden getan. Dann wäre wenigstens ein lästiges Problem aus der Welt geschafft. Vor allem nach der Beichte Kreins war ihre Begeisterung, über Urban eine Biografie zu schreiben, auf den Nullpunkt gesunken.
    „Versprochen.“
    „Danke Paulinchen, du hast was gut bei mir.“
    Da würde er sich aber allerhand einfallen lassen müssen, bei den vielen Guthaben, die sie in den letzten Tagen bei ihm gesammelt hatte.
    Kurze Zeit später wurde Doktor Nieder von Santos Assistentin in den Besprechungsraum geleitet. Paula erkannte ihnsofort: fett, schütteres Haar, das er von einer Seite über den kahlen Kopf gezogen hatte. Die Augen, dunkel und tief in den Höhlen liegend, durch die dicken Brillengläser stark vergrößert, insgesamt eine skurrile Gesichtsproportion. N wie Nieder. Paula hätte wetten mögen, dass der erste Buchstabe seines Vornamens ein „H“ war, denn Nieder war niemand anderer als der zweite Mann auf Urbans Erpresser-Fotos.
    Santo war aufgesprungen und begrüßte den Mann beinahe unterwürfig. Dann wandte er sich Paula zu: „Darf ich vorstellen: Herr Doktor Herbert Nieder von der Firma Comm4Syst, Hauptsponsor dieser Veranstaltung. Frau Magistra Paula Ender, unsere Mitarbeiterin, die sich mit der Biografie über Stefan Urban beschäftigt.“
    Nieder musterte sie anmaßend von Kopf bis Fuß, während er ihr die Hand reichte, weich und feucht, wie Paula es erwartet hatte. Wo sind Feuchttücher?, schoss es Paula durch den Kopf. Warum war es in diesen Breiten üblich, zur Begrüßung die Hand zu geben? Warum konnte man nicht die Außenflächen der Hände oder die Ellenbogen zusammenschlagen. Stattdessen presste man die Körperenden aneinander, die oft schwitzig waren und auf denen Bakterienherde hausten, die fröhlich übersprangen.
    „Aha, Sie sind also Frau Ender“, sagte Doktor Schwabbelbauch. Wahrscheinlich hatten sie im Unternehmen schon Wetten abgeschlossen, wie diese lästige Person aussehen würde, die da mit ihren unorthodoxen Methoden Unruhe in die Organisation und den Ablauf
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