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Schärfentiefe

Titel: Schärfentiefe
Autoren: I Mayer-Zach
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den ihr eine Freundin wärmstens empfohlen hatte. Kurt hatte Paula auf Anhieb gefallen, denn er war ordentlich, freundlich, hilfsbereit und – schwul. Was das Zusammenleben enorm erleichterte.
    Für Paula war er der ideale Mitbewohner: Sie hatte einen Mann im Haus, der an ihr nicht interessiert sein würde, die beste Voraussetzung, lange und gut mit ihm auszukommen. Schließlich konnte sie das monatliche fixe Einkommen bei ihrem unregelmäßigen Geschäftsgang gut brauchen. Und noch einen Vorteil hatte Kurt: Er besaß, im Gegensatz zu ihr, einen fahrbaren Untersatz. Wenn man ihn ansah – groß, muskulös an den richtigen Stellen, dunkle Augen und Haare –, war er mit seiner sexuellen Vorliebe allerdings ein Verlust für die Frauenwelt.
    „Das Seminar wurde kurzfristig abgesagt. Gerade vorhin musste ich auch ein anderes in den Jänner verschieben.“
    „Blöd, oder?“
    „Aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Aber komm, trinken wir gemeinsam Tee. Ich muss dir was Witziges erzählen.“
    Kurt war in der kurzen Zeit, die er bei ihr wohnte, zu einem guten Freund geworden, und Paula ließ ihn vorbehaltlos an ihrem Leben teilhaben. Kurt war leider nicht ganz so mitteilsam. Oder vielleicht hatte er einfach nicht viel zu erzählen? Jedenfalls wusste sie, dass er im Moment keinen festen Freund hatte, mit dieser Situation aber nicht unglücklich zu sein schien. Er war ein fleißiger Student, der jede freie Minute über dicken Wälzern mit kleiner Schrift verbrachte.
    „Eigentlich wollte ich dir nur was bringen.“
    Kurt stellte ein eingepacktes Irgendetwas auf die Kommode neben der Tür.
    Paula entfernte neugierig das Papier und hatte einen kleinen Orangenbaum vor sich. Mit winzigen Früchten drauf.
    „Ist der schön! Wo hast du denn den gefunden?“
    „In einem kleinen Blumenladen in der Wollzeile. Ich habe mich heute wieder mal mit Büchern eingedeckt, und als ich heimging, habe ich das Orangenbäumchen in einer Auslage gesehen.“
    Seitdem sie Kurt erzählt hatte, dass ihre Freundin Clea das meiste ihres Grünzeugs vernichtet hatte, brachte er ihr immer wieder eine Pflanze mit. Clea bewohnte ein Stockwerk höher im selben Haus eine kleine Garçonnière. Oft recherchierte sie auf Paulas Computer oder machte es sich in deren viel größerem Wohnzimmer bequem. Im Gegenzug kümmerte sie sich um die laufende Adaptierung der Software, stellte Paula ihren Wagen zur Verfügung und versorgte während deren Urlauben die Wohnung. Doch Clea hatte wahrlich keinen grünen Daumen: Schon zwei Mal wurde Paulas Pflanzenwelt radikal von ihr vernichtet. Einmal, weil sie die Pflanzen ersäuft hatte und folglich allesamt verfault waren, das andere Mal, weil sie aus Panik, dass ihr dasnochmals passieren könnte, so sparsam gegossen hatte, dass fast alle Pflanzen verdorrt waren, bis auf den Kaktus in der Küche.
    „Jetzt sag, was wolltest du mir Witziges erzählen?“
    Paula kam mit zwei Bechern dampfendem Tee aus der Küche und reichte einen davon Kurt.
    „Rate mal, wer mich heute hat anrufen lassen?“
    „Der Bundespräsident.“ Kurt grinste.
    „Sehr witzig.“ Paula verdrehte die Augen. Auch das war Kurt.
    „Du sagtest doch, es wäre etwas Witziges, was du mir erzählen möchtest. Und was wäre so ungewöhnlich daran, wenn der Bundespräsident für seine Mitarbeiter ein Schreibseminar buchen würde? Wenn ich mir einige Gesetzestexte oder amtliche Schreiben anschaue, dann erscheint mir der Bedarf ziemlich groß.“
    „Santo hat mich heute anrufen lassen.“
    „Santo? Dein früherer Boss Santo? Was will er? Will er dich wieder in Lebensgefahr bringen?“ Natürlich hatte Kurt mittlerweile auch tiefe Einblicke in Paulas Vergangenheit erhalten.
    „Nein, diesmal hat er ein völlig harmloses Projekt. Er möchte, dass ich eine Biografie über einen Prominenten schreibe. Ich habe gleich akzeptiert. Ehrlich gesagt, freue ich mich auf die Arbeit. Biografien schreiben ist wie eine Reise.“
    „Wer ist der Glückliche, über den du schreiben sollst?“
    „Ein Stefan Urban oder so ähnlich. Ein Fotograf, der kürzlich einen Unfall hatte.“
    „Am Samstag.“
    „Was? Am Samstag?“
    „Am Samstag haben sie ihn aus der Donau gefischt. Besser gesagt, der Kämmrechen beim Flusskraftwerk Freudenau hat ihn am Abend herausbefördert.“
    „Woher weißt du das schon wieder?“
    „Internetseite der Bundespolizeidirektion. Da kannst du vonbrennenden Pfannen über Einbrüche bis zu Wasserleichen allerlei nachlesen. Warte, ich zeige es dir. Und
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