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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen
Autoren: Robert Silverberg
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Schadrach wollte nicht. Ein anderes Mal, vertröstete er Buckmaster freundlich. Die transtemporalen Erfahrungen verzehren zuviel Energie; er benötigt seine ganze Kraft für das bevorstehende schwierige Unternehmen. Nachdem er sich bemüht hatte, Buckmaster den Sachverhalt klarzumachen, verstand dieser oder war zumindest bereit, ihm zu verzeihen, daß er die Reise nicht gleich antreten wollte. Und Schadrach verließ das Zelt mit Buckmasters Versprechen, daß er den Entwurf für das neue telemetrische System am nächsten Tag ausarbeiten werde. Und trotz dieses guten Ergebnisses verfolgt Buckmaster ihn noch immer.
    Wie verblüffend es war, Buckmasters mönchisches Gehabe von ihm abfallen zu sehen, als er die Implikationen von Schadrachs Vorhaben begriff: sein Atem beschleunigte sich, Farbe stieg ihm in die Wangen, die Augen blitzten in ungeduldigem Interesse. Er stellte hundert Fragen, verlangte Spezifikationen und Leistungsschwellen, Größenangaben und bevorzugte Platzierung im Körper. Es kostete ihm kaum eine halbe Stunde, um das Funktionsschema in großen Zügen zu entwerfen. Für die Ausarbeitung benötige er einen Datenanschluß, sagte er, aber das sei kein Problem: Cifolia könne ihm eine Direktschaltung per Telefon herstellen. Er war Feuer und Flamme, lachte wiederholt laut und durchdringend auf, wenn er sich die Wirkungsweise des neuen Systems vorstellte. Und dann ergriff ebenso unvermittelt eine neue Verwandlung von ihm Besitz. Die weltentrückte Heiterkeit kehrte zurück. Die Probleme der Mikroelektronik waren vergessen; er war wieder ein Mönch, gelassen, in sich gekehrt, erfüllt von frommen Visionen. Und er lud Schadrach ein, mit ihm die Passion Christi zu erleben.
    Der arme verrückte Buckmaster.
    Bemüht, seinen eigenen inneren Frieden wiederzufinden, nimmt Schadrach einen Hobel auf, legt ihn weg, fährt mit den Fingern über die gekrümmte Klinge eines Schnitzmessers, drückt sich eine Raspel gegen die Stirn. Besser. Ein wenig besser. Die Berührung des kalten Metalls beruhigt ihn. Der arme verrückte Buckmaster wird inzwischen den Trank genommen haben. Und wird auf den Flügeln des Traums davongeschwebt sein, um zu sehen, wie sie die Dornenkrone anbringen, die Nägel einschlagen und die Lanze in den Leib des Gekreuzigten stoßen. Verrückt? Buckmaster ist ein glücklicher Mensch. Er hat einen Platz jenseits allen Schmerzes gefunden, hat die Häscher des Vorsitzenden überlistet. Er ist aus seiner Qual zur Heiligkeit gelangt, und jeden Tag wandelt er mit den Aposteln und dem Erlöser. Für ihn ist das Palästina der Bibel realer als die Gegenwart, aus der er geflohen ist, und wer kann es ihm verdenken? Mehr noch, wer kann daran etwas aussetzen? Schadrach wäre imstande, die gleiche Wahl zu treffen, wenn er könnte. Natürlich wird die Realität früher oder später in Buckmasters Fantasie eindringen: eine Zeit wird kommen – und das schon bald –, da Buckmasters letzte Immunisierung ihre Wirksamkeit verliert, und es wird ihm wahrscheinlich nicht gelingen, eine weitere Dosis aufzutreiben. Aber das bereitet ihm offensichtlich keine Sorgen.
    Das Nachdenken über Buckmasters neu gefundenen Seelenfrieden läßt Schadrach selbst einen Abglanz davon zuteil werden. Diesmal gelingt es ihm, die meditative Konzentration zu erhalten und jenen klaren, lichten Ort im Innern zu erreichen, der von keinem Sturm erreicht wird. Buckmaster verschwindet, der Vorsitzende verschwindet, Schadrach verschwindet. Stundenlang arbeitet er ruhig und erfüllt an seiner Werkbank, völlig eins mit seinem Werkzeug, seinem Holz. Als er spät am Tag die Werkstatt verläßt, ist er in einem Zustand, der an Ekstase grenzt.
     
    Eine Stunde nach Dunkelwerden trifft er in Ulan Bator ein. Als erstes ruft er Katja Lindman an.
    »Ich möchte dich sprechen«, sagt er.
    »Ich hoffte, du würdest anrufen. Ich hatte von deiner Rückkehr gehört.«
    Sie treffen sich im Kasino, einem Gemeinschaftsraum im Kantinenbetrieb, der von Regierungsangestellten der mittleren Kategorie bevorzugt wird. Es gibt Tische mit Bedienung, und der allgemeine Lärm ist gewöhnlich so, daß man ohne Furcht vor Abhörgeräten sprechen kann. Die Decke des Saals ist mit lang herabhängenden Schriftbändern aus goldglänzender Metallfolie dekoriert, die sich sanft in den Luftströmungen bewegen. Ein riesiges Porträt des Vorsitzenden beherrscht die Ostwand, während die Wand gegenüber den etwas kleineren Konterfeis berühmter Revolutionshelden der Vergangenheit
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