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Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Titel: Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)
Autoren: John Scalzi
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plötzlich nicht wiederzuerkennen waren. An einem bestimmten Tag mochte IBM als Einzelunternehmen existieren, doch schon am nächsten hatten sich die globalen Abgrenzungen verwischt. Das Gleiche galt für fast jeden anderen politischen und wirtschaftlichen Akteur.
    Der Unterschied zwischen Oversatch und allem anderen bestand darin, dass die Weltkarte der meisten Menschen nur die Attraktoren zeigte. Oversatch benutzte die momentane Landkarte, die anhand der Analyse des Geschehens im Internet erstellt wurde und die zeigte, was die Akteure auf der ganzen Welt in diesem Augenblick taten. Diese Karte wurde als »es 2.0« bezeichnet. Gennadi gewöhnte sich an, jeden Morgen einen Blick auf die Liste der neuen Nationen zu werfen, die allesamt einzigartige und einprägsame Namen wie »Donaldduckia« oder »Brilbinty« trugen. Im Verlauf des Vormittags begannen die Oversatch-Spieler damit, gewaltige Mengen an Geld und Ressourcen zwischen all den vorübergehenden Akteuren in Bewegung zu setzen. Wenn der Tag in einem Teil der Welt endete, begann er irgendwo anders, so dass der Prozess im Grunde niemals aufhörte, aber lokal betrachtet schwächte sich die temporäre Deformation des Netzwerkes wieder ab. Und Großbritannien erschien wieder auf der Bildfläche. Genauso wie Google oder die EU.
    »Es ist wirklich wie dieses Diplomacy -Spiel«, stellte Miranda eines Tages fest. »Nur dass sich auch die Landkarte immer wieder ändert.«
    Wenn sie nicht auf äußere Angelegenheiten konzentriert waren, scannten Gennadi und Miranda Dinge ein und stellten mit den 3-D-Druckern von Oversatch Kopien davon her. Ansonsten pflegten sie Dachgärten oder brachten landwirtschaftliche Erzeugnisse mit Lieferwagen von einem geheimen Ort zum andern. Alles, was sie als Lebensgrundlage benötigten, wurde außerhalb der offiziellen Ökonomie produziert und ohne Ressourcen der Außenwelt zu verbrauchen. Selbst die Elektrizität, mit der die Lieferwagen betrieben wurden, stammte von Windanlagen auf Dächern, die mit Oversatch-Druckern hergestellt worden waren, die wiederum von anderen Druckern produziert wurden. Oversatch baute Mülldeponien ab und verarbeitete die Metalle und seltenen Erden selbst weiter. Es hatte eigene Mikrowellenantennen auf den Dächern installiert, um seine eigenen Daten intern zu senden, ohne die offiziellen Datennetzwerke zu benutzen. Diese autonomen Systeme reichten weit über Stockholm hinaus – letztlich war das Ganze global.
    Nach etwa einer Woche erwies es sich als einfacher und kostengünstiger, das Hotel zu verlassen und sich in den Apartments von Oversatch einzuquartieren, die sich, genauso wie alles andere in diesem Gemeinwesen, an ungewöhnlichen und unerwarteten Orten befanden. Gennadi und Miranda zogen nach Göteborg an der schwedischen Westküste und wurden fürstlich untergebracht – in einer Reihe renovierter Schiffscontainer unten am Hafen. Die Räumlichkeiten waren gemütlich, hatten Stromversorgung, waren gut beheizt, und es gab Satellitenschüsseln und Sechzig-Zoll-Fernseher (selbstverständlich alles in Oversatch hergestellt).
    An einem strahlenden Morgen schlenderte Gennadi zum Café hinüber, wo Hitchens sich mit ihm treffen wollte. Dann versuchte er, dem Interpol-Mann sein neues Leben zu beschreiben.
    Hitchens war fasziniert. »Das ist unglaublich, Gennadi, einfach unglaublich.« Dann redete er davon, Razzien durchzuführen, das Netzwerk auf frischer Tat zu ertappen und den ganzen Laden hochgehen zu lassen.
    Gennadi blinzelte verwirrt. »Vielleicht bin ich noch nicht ganz wach«, sagte er und bemühte sich um einen möglichst starken slawischen Akzent, »aber mir scheint, dass diese Leute haben nichts Unrechtes getan.«
    Hitchens regte sich auf, so dass Gennadi seinen Sarkasmus dämpfte und noch einmal völlig ruhig erklärte, dass die Bürger von Oversatch nichts taten, was nach den schwedischen Gesetzen verboten war. Sie gaben sich sogar allergrößte Mühe, sich peinlichst genau an die jeweils gültigen Gesetze zu halten. Es war nur die nationale und regionale Ökonomie, aus der sie ausgestiegen waren – und damit auch aus der Konsumgesellschaft. Wenn sie für einen Dienst in der sogenannten »realen Welt« bezahlen mussten, hatten sie jede Menge Geld zur Verfügung, um es zu tun – aus Investitionen, Immobiliengeschäften und Tausend anderen legalen Unternehmungen. Es war nur so, dass sie auf all das nicht angewiesen waren, um zu überleben. Sie bezahlten die Leistungen der traditionellen Wirtschaft,
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