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Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)

Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)

Titel: Saufit: Von einem, der auszog, nie wieder krank zu werden (German Edition)
Autoren: A. J. Jacobs
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wandert. Halten Sie sie ein Weilchen auf der Zungenspitze, ohne hineinzubeißen …«
    Jetzt ist es so weit: Paul hat es geschafft. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Er ist wie ein Telefonsex-Profi, nur dass er einzig und allein von einer Beerenfrucht redet. Ein Zungenschmeichler.
    »Kann Ihre Zunge die Heidelbeere schmecken? Kann Ihr Gaumen sie schmecken? Können Sie dieses Geschmackserlebnis Ihr Hirn, Ihren Mund und Ihre Nase völlig durchdringen lassen?«
    Ich. Will. Diese. Heidelbeere. Jetzt.
    »Und nun können Sie wirklich eine Heidelbeere zum Mund führen. Ganz langsam, wie in Zeitlupe. Können Sie sie auf der Zunge halten? Noch nicht hineinbeißen, sondern zunächst Ihr Gehirn und Ihre Zunge und Ihren Gaumen und Ihre Wangen an dieser Erfahrung teilhaben lassen. Sind Sie bereit? Dann können Sie nun allmählich in diese Beere hineinbeißen. Ganz langsam. Können Sie die zarte Haut der Heidelbeere schmecken? Und können Sie schmecken, wie dieses Aroma sich mit dem saftigen Fruchtfleisch vereint?«
    Oh Mann, und wie.
    Paul redet noch mehrere Minuten in der Art weiter. Noch nie im Leben hat mir eine Heidelbeere so gut geschmeckt, das kann ich Ihnen sagen. Das Ganze ist ein seltsames und albernes (um nicht zu sagen: bescheuertes) Ritual – aber wer eine Heidelbeere nach 20 Minuten Geschmacksmeditation immer noch nicht zu schätzen weiß, der hat eine Zunge aus Stein.
    Aus meinem Besuch bei Paul ziehe ich eine Lehre: Ich muss lernen, achtsam zu essen. Was nicht unbedingt heißt, dass dem Verzehr einer Blaubeere grundsätzlich eine viertelstündige Meditation vorausgehen sollte. Doch die ernsthafte Beschäftigung mit dem, was man sich so alles in den Mund steckt, ist eines der Geheimnisse stabiler Gesundheit. Laut Brian Wansink, Professor für Psychologie an der Cornell University und Autor von Essen ohne Sinn und Verstand, ist die grassierende Fettleibigkeit in den USA wesentlich auf die Gedankenlosigkeit zurückzuführen, mit der wir uns an dem gigantischen, allgegenwärtigen Nahrungsmittelangebot bedienen und Bissen für Bissen in uns hineinstopfen.
    Besonders gerne essen wir nebenbei, während wir einer anderen Beschäftigung nachgehen – eine todsichere Methode, Kilos anzusetzen. Studien belegen, dass wir bis zu 71 Prozent mehr zu uns nehmen, wenn wir während des Essens fernsehen. (Eine Zahl, die auch davon abhängt, was wir gerade anschauen. So ergab eine Untersuchung, dass Probanden, die David Lettermans Late Show anschauten, mehr aßen als diejenigen, die sich für Jay Lenos Tonight Show entschieden. Wenn das kein guter Grund für eine brandaktuelle Leno-Diät ist.) Wir essen auch mehr, wenn wir gleichzeitig Auto fahren, arbeiten oder auf der Straße gehen.
    Ich weiß übrigens, wer an dieser weitverbreiteten Unart schuld ist. In der Encyclopaedia Britannica las ich einen Text über den geistigen Vater des Nebenbei-Essens – einen britischen Adeligen des 18. Jahrhunderts, der spielsüchtig war und deshalb einen Snack erfand, den er zu sich nehmen konnte, ohne die Partie zu unterbrechen. Sein Name: John Montagu, vierter Earl of Sandwich. So sehr ich das gute alte Sandwich zu schätzen weiß – es hat uns letztlich eine Menge Ärger eingebracht.
    Der Welt achtsamster Esser
    Nach Hause zurückgekehrt, nahm ich mir fest vor, der achtsamste und bewussteste Esser von ganz Amerika zu werden. Ein Vorsatz, der bereits am nächsten Tag zum Teufel war.
    Ich arbeitete gerade an einem Artikel für das Männermagazin Esquire , für das ich als Autor tätig bin. Gegen elf Uhr bemerkte ich auf meinem Schreibtisch einen leeren Plastikbehälter und einen Löffel. Irgendwie hatte ich es fertiggebracht, zwischendurch eine ganze Schale Pfirsichspalten in Sirup zu essen. Obwohl: Eigentlich war das gar nicht ich. Sondern eine nur beschränkt empfindungsfähige, hochgradig zuckersüchtige Zombieversion von mir.
    Kein Zweifel, ich brauche Hilfe. Ich muss mich selbst als Laborratte ansehen und entsprechend behandeln. Dabei muss ich mich von außen nach innen vorarbeiten, sprich: Ich muss zunächst einmal die Art der Nahrungs präsentation verändern. Also rufe ich einige Verhaltensforscher an, um mir von ihnen Anregungen für die formale Gestaltung Bauchspeck bekämpfender Mahlzeiten zu holen, darunter auch Sam Sommers von der Tufts University, Autor des Buchs Situations Matter .
    Am Mittwochabend bitte – oder besser gesagt, zwinge – ich meine Familie dann zu einem Abendessen der besonderen Art. Teilnehmer: meine Frau
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