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Sandkönige - Geschichten

Sandkönige - Geschichten

Titel: Sandkönige - Geschichten
Autoren: George R. R. Martin
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wußte er, wann er zu gehen hatte.
    Draußen, im fahlen Licht, lehnte er sich gegen den Windwall und versuchte, das Zittern der Hände zu stoppen. Laß den Kopf nicht hängen, tu was! redete er sich ein. Er brauchte Geld und Lebensmittelmarken. Das war also etwas, womit er sich die Zeit vertreiben konnte. Außerdem bot sich die Möglichkeit, einen Besuch im Schuppen zu machen oder bei Sunderland vorbeizuschauen. Er mußte Geduld haben.
    Er warf einen kurzen Blick nach oben auf MacDonald, dem die Ungeduld zum Verhängnis geworden war. Dann ging er durch die leeren Straßen der Stadt der Schiffslosen.
    Schon als Kind hatte Holt eine tiefe Sehnsucht nach den Sternen verspürt. In den Jahren der strengen Kälte, wenn die Eiswälder auf Ymir blühten, war er oft nachts über knirschenden Schnee kilometerweit hinaus aus der Stadt gegangen und hatte allein inmitten der blauweiß glitzernden Landschaft aus bizarren Frostgebilden gestanden. Dann hatte er hinauf in den Himmel geblickt.
    Die mondlosen Nächte im Winterjahr auf Ymir sind klar und schwarz. Sterne und Stille beherrschen die Szene.
    Holt kannte alle Namen auswendig — nicht die der Sonnen (kein Mensch gab ihnen Namen; Zahlen reichten zur Kennzeichnung aus), sondern die Namen der Welten, die sie umkreisten. Er war ein intelligentes Kind und lernte schnell, was selbst seinen sonst so griesgrämigen, praktisch denkenden Vater mit Stolz erfüllte. Während endloser Partys im alten Haus, wenn er zu viel Sommerbier getrunken hatte, führte der Vater seine Gäste oft hinaus auf den Balkon und forderte seinen Sohn auf, die Namen der Welten zu nennen. »Da«, sagte er dann und zeigte mit dem Krug in der Hand auf einen Punkt im Himmel. »Der helle da.«
»Arachne«, antwortete der Junge, ohne eine Miene zu verziehen. Die Gäste lächelten und machten höfliche Komplimente.
    »Und der da?«
»Baldur.«
»Da. Da. Und die drei da drüben.«
»Finnegan. Johnhenry. Celias Welt, Neu-Rom, Cathaday.« Die Namen kamen wie aus der Pistole geschossen. Der Vater verzog das faltige Gesicht zu einem Grinsen und setzte das Spiel fort, bis die Gäste ungeduldig wurden und der Junge alle Welten benannt hatte, die vom Balkon aus zu sehen waren. Holt hatte dieses Ritual stets gehaßt.
    Er war froh, daß sein Vater nie mit hinaus in die Eiswälder kam, denn dort, abseits vom Licht der Stadt, funkelten Tausende von anderen Sternen, die er natürlich nicht alle mit Namen kannte.
    Aber er lernte soviel wie möglich hinzu. Weit entfernt, außerhalb der von Menschen besiedelten Zonen, schimmerten matt die Sterne der Damoosh-Gruppe. Dahinter, in Richtung der Galaxismitte, glühte die rötliche Sonne der Stillen Zentauren. Dann kannte er noch den Sternhaufen der Fyndii-Welten und vieles mehr.
    Auch als er älter wurde, ging er hinaus in die Wälder, allerdings nicht immer allein. All seine jungen Freundinnen schleppte er mit sich. In einem Sommerjahr, als statt Eis Blütenblätter von den Bäumen tropften, hatte er sein erstes Liebesabenteuer unter freiem Himmel. Manchmal redete er mit Freunden über die Sterne, aber es fiel ihm schwer, die geeigneten Worte zu finden. Er war nie sehr beredt und konnte sich selten verständlich machen. Er verstand seine Leidenschaft für die Sterne selbst kaum.
    Als sein Vater starb, erbte er Haus und Grundstücke, die er ein Winterjahr lang verwaltete, obwohl er erst zwanzig Standardjahre alt war. Als der Tau einsetzte, machte er sich von Zuhause auf und ging nach Ymir City. Dort war gerade ein Schiff gelandet, ein Frachter, der nach Finnegan und noch tiefer in die Milchstraße hinein weiterfliegen sollte.
    Holt heuerte an.
    Die Straßen bevölkerten sich langsam. Die Dan'lai bauten Essenstände zwischen den Hütten auf. In spätestens einer Stunde würden die Stände dicht an dicht die  Straßenränder säumen. Ein paar dürre Ul-mennaleith, meist zu viert oder fünft, mischten sich unter die Leute. In ihren pulverblauen Umhängen, die fast bis auf den Boden fielen, erweckten sie den Eindruck, als schwebten sie über der Straße — würdevoll und gespenstisch zugleich. Sie hatten fein gepuderte Gesichter, kühl und klar glänzende Augen, und obwohl ihnen das Los der Schiffslosen anhing, wirkten sie — wie alle Ul-mennaleith — äußerst gelassen.
    Holt ging hinter ihnen her und beschleunigte den Schritt, um mitzuhalten. Die Fuchshändler ignorierten die ernsten, gefaßten Ul-mennaleith, achteten aber um so mehr auf Holt, riefen ihm zu und lachten mit hohen,
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