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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut
Autoren: Benoîte Groult
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gewesen, um auf zehn Jahre meines Lebens zu verzichten ‒ sagen wir fünf ‒, nur damit nichts den Verlauf des Stückes behindern möge, das wir nun spielen würden und bei dem noch keiner von uns seine Rolle kannte. Was haben ein paar Jahre im Alter schon zu bedeuten, wenn man zwanzig ist? Ich bereitete mich darauf vor, eine Nacht ohne Morgen zu erleben, eine den Konventionen, der Vorsicht und sogar der Hoffnung gestohlene Nacht, und ich empfand dabei wilde Freude.
    Endlich kam Gauvain. Sein Auto hat er ganz am Rand des Feldes abgestellt, ich habe ihn die Tür zuschlagen hören und seine Gestalt erahnt, wie er durch die Dunkelheit spähte. Vermutlich hatte er mich schon im Licht der Scheinwerfer gesehen, denn nun rannte er den felsigen Abhang herunter. Ich hatte mich an ein auf den Sand gezogenes Boot gelehnt, um mich gegen den Wind zu schützen; die Arme um die Knie geschlungen, saß ich da, in einer Haltung, die mir zugleich sportlich und romantisch erschien… Mit zwanzig legt man sehr viel Wert auf seine Haltung. Gauvain hat mich an beiden Händen gepackt, um mich schneller hochzuziehen, und noch bevor ich ein Wort sagen konnte, hat er mich heftig an sich gepreßt, sein Bein sofort zwischen meine geschoben und mit dem Mund mir die Lippen geöffnet, meine Zunge hat sich an seinem kaputten Zahn verfangen, meine Hand ist zum erstenmal unter seine Jacke geglitten, in seine duftende Wärme, meine Finger sind eingedrungen in jenen rührenden Hohlraum, den der Gürtel bei manchen Männern zwischen den Lendenmuskeln freigibt. Lautlos begann es zu regnen, und wir bemerkten es nicht sofort, so entrückt waren die Gefilde, in denen wir schwebten. Einen Augenblick glaubte ich, daß Gauvain weinte, und rückte ein wenig von ihm ab, um seine Augen zu erkennen… Schon ringelten sich die nassen Haarsträhnen auf seiner Stirn, Gischttropfen glänzten zwischen seinen gebogenen Wimpern. Vielleicht waren es doch Tränen. Unsere Lippen haben sich wieder vereint, sich voneinander gelöst und sich lachend wiedergefunden, ganz glitschig vom Wasser des Himmels, das köstlich schmeckte, und die Schwärze der Luft, die Melancholie des feuchten Strands und die Gänsehaut des Meeres unter den Regentropfen umringten uns von allen Seiten, lösten uns heraus aus der Betriebsamkeit des Tages und tauchten uns in die fast unerträgliche Einfachheit der Liebe. Der Regen bahnte sich allmählich einen Weg in unsere Kragen, und der Südwestwind wurde stärker, aber wir konnten uns schon nicht mehr trennen. Mit einer Bewegung des Kinns wies Gauvain zur Insel und zu der Ruine hinüber, von der noch ein Stück Dach übrig war, das am letzten Balken hing. Ich lächelte: Da hatten wir in unserer Kindheit oft gespielt! »Wir können noch rübergehen. Erst gegen zwei Uhr früh kommt die Flut.«
    Wir sind auf dem Sandkamm entlanggelaufen, der bei Ebbe die Insel mit der Küste verbindet, auf dem Tang habe ich mir die Knöchel verstaucht, und Gauvain, dessen Husky-Augen auch im Dunkeln sehen, hat mir geholfen, auf das grasbedeckte Plateau zu steigen, wo unser Häuschen stand… oder das, was noch von ihm übrig war. Außer Atem haben wir uns wortlos bei den Händen genommen, ganz durchdrungen vom Ernst der Freude, so heftig zu begehren, was wir nun gemeinsam tun würden, hier in diesem unsicheren Unterschlupf, ohne Sorge um die Vergangenheit und um die Zukunft. Wenn das Leben ganz und gar im Augenblick Platz findet, wenn es einem gelingt, alles andere zu vergessen, dann erreicht man vielleicht die intensivste Form der Freude.
    Wir haben uns in die einzige trockene Ecke der verfallenen Behausung verkrochen, und ich war froh, daß ich meinen Dufflecoat mitgenommen hatte. Ich wußte nichts anderes zu sagen als immer wieder: »Bist du da? Sag mir, daß du es wirklich bist… Es ist so dunkel, daß ich Zweifel habe.«
    »Ich wußte doch, daß wir uns eines Tages wiederfinden würden, ich wußte es«, antwortete er und streichelte mein Gesicht, um es besser zu sehen, dann tastete er sich langsam unter der Bluse über meine Schultern, über den Nacken hinab zur Taille, formte mich behutsam aus dem wunderbaren Material der Erwartung. Ich hatte nicht gerade oft in meinem Leben mit einem Mann geschlafen. Mit zwanzig Jahren hatte ich bisher erst Gilles, meinen Initiator, erlebt, der mich in nichts eingeweiht hatte, denn beide wußten wir so gut wie nichts vom Gebrauch der Geschlechtsorgane. Und dann noch Roger, dessen Intelligenz mich vor Bewunderung stumm und des
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