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 Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums
Autoren: Michael Köhlmeier
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und Mann war
     
     
    Ödipus ist im zwanzigsten Jahrhundert die bekannteste Gestalt der griechischen Mythologie, vor allem wohl deshalb, weil Sigmund Freud den Trieb des männlichen Kindes, seine eigene Mutter zu besitzen und den Vater zu hassen, nach ihm benannt hat.
    Es ist in der Tat eine der traurigsten und grausamsten Geschichten, die die griechische Sagenwelt zu bieten hat. Beginnen wir bei Ödipus’ Mutter und Ödipus’ Vater. Denn von ihnen beiden rührt der Fluch her, der das Drama dieses Helden ausgelöst hat.
    Ödipus’ Mutter ist Iokaste, sie ist eine Nachfahrin der gesäten Männer. Erinnern wir uns: Diese gesäten Männer sind die Vorfahren der Spartaner, sie wuchsen wie Pflanzen aus dem Boden, als Kadmos Schlangenzähne säte. Iokastes Bruder war Kreon, auch er wird in dieser Tragödie noch eine wichtige Rolle spielen.
    Der Vater von Ödipus war Laios. Er wäre der rechtmäßige Anwärter auf den thebanischen Thron gewesen, aber er wurde vertrieben und fand bei König Pelops Unterschlupf. Pelops – über ihn werden wir später noch ausführlich berichten – hat den Laios verwöhnt, hat ihn behandelt wie einen Bruder. Aber Laios hat diese Gastfreundschaft nicht in gebührender Art und Weise zurückerstattet; im Gegenteil: Er verging sich an dem jüngsten und hübschesten Sohn des Pelops, nämlich an Chrysippos. Er verführte ihn und hat ihn schließlich, als er den Schutz des Pelops nicht mehr benötigte, mitgenommen in seine Heimatstadt Theben.
    Das sah die Göttin Hera oben im Olymp nicht gern. Wir würden irren, wenn wir annähmen, daß sie etwas gegen Homosexualität hatte, das hatte Hera gewiß nicht; denn um sie herum im Götterhimmel wie auf Erden bei den Heroen und natürlich auch bei den Menschen war Homosexualität sehr verbreitet. Diese Art der Liebe wurde als die eigentliche Liebe zur Schönheit angesehen, und es galt als ehrenvoll, sich ihr vorzugsweise in einem Nebenverhältnis hinzugeben. Hera hatte etwas dagegen, weil sich Laios seiner Frau wegen Chrysippos verweigerte. Iokaste hatte sich bei der Göttermutter beschwert und um ein kräftiges Zeichen gebeten. Und Hera schickte die Sphinx auf Theben.
    Die Sphinx lauerte vor dem Stadttor von Theben und versetzte die Bürger in Schrecken, und der Rat der Stadt forderte Laios auf, seinen Geliebten Chrysippos unverzüglich nach Hause zurückzuschicken und endlich wieder mit Iokaste das Lager zu teilen.
    Nach langem Zögern gab Laios nach. Er schickte Chrysippos zu Pelops zurück.
    Aber die Sphinx blieb. Die Bürger der Stadt meinten, der Grund dafür sei wohl, daß Laios nur den ersten Teil ihrer Forderung erfüllte hätte, und sie wollten einen Beweis dafür haben, daß Laios mit Iokaste ehelich verkehre. Man wollte ein Kind sehen.
    Aber die Ehe blieb unfruchtbar. Und die Sphinx lauerte weiter vor dem Stadttor von Theben.
    Iokaste war verzweifelt. Sie forderte ihren Mann auf, er solle sich auf den Weg nach Delphi zum Orakel machen, um in Erfahrung zu bringen, warum sie von ihm keine Kinder bekommen könne.
    In Delphi gibt der Gott Apoll in oft verrätselten Worten Antwort auf die Fragen von Hilfesuchenden. Laios pilgerte also nach Delphi und fragte: »Was ist der Grund dafür, daß Iokaste und ich keine Kinder kriegen können?«
    Die Pythia, die Priesterin in Delphi, die über einem Spalt in der Erde sitzt und so die Weisheit der alten Gaia in sich aufnimmt, wandte ihr Gesicht ab und sagte zu Laios: »Sei froh, daß deine Ehe bisher unfruchtbar geblieben ist! Hüte dich davor, einen Sohn zu zeugen, denn er wird dich töten.«
    Mit dieser erschreckenden Nachricht, die nicht einmal verschlüsselt, die ganz offen als Warnung ausgesprochen worden war, kehrte Laios zurück zu Iokaste und eröffnete ihr, daß er nie mehr ihr Bett teilen werde.
    Iokaste wird wohl zuerst auch erschrocken über diesen Orakelspruch gewesen sein, und sie war wohl damit einverstanden, in Zukunft auf den ehelichen Verkehr zu verzichten. Aber sie wußte, wie das Orakel in Delphi funktionierte, und es kam ihr bald schon merkwürdig vor, wie offen der Gott durch die Pythia zu ihrem Mann gesprochen hatte. Schließlich verdächtigte sie ihren Mann, diesen Spruch erfunden zu haben, um nicht mit ihr schlafen zu müssen, denn sie wußte ja, wie leidenschaftlich Laios die Knaben liebte.
    Iokaste litt. Sie schlief in einem anderen Bett, schlief in einem anderen Raum, lag nachts wach. Dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie machte ihren Mann betrunken und schlich sich in der
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