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Sacramentum

Sacramentum

Titel: Sacramentum
Autoren: Simon Toyne
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ewigen Zyklus von Folter und Qual zu erdulden.
    Sie spürte, wie das Ding, das sie in sich trug, sich zusammenrollte und sie nach unten zog, so wie ein sterbender Stern sich in ein Schwarzes Loch verwandelt, das alles in sich verschlingt, das Licht eingeschlossen. Vielleicht war es ja genau das, was auch mit ihr passieren würde. Vielleicht war das ja, was in der Prophezeiung das Ende aller Tage hieß.
    Unter Liv erstreckte sich nur Wüste, und eine Erinnerung kam hoch, die nicht ihr gehörte. Es war die Erinnerung an die Welt, als sie noch jung gewesen war, und das Land unter ihr noch grün und fruchtbar … und als sie noch frei unter dem Himmel gewandelt war. Und da hatte es auch einen Mann gegeben, und sie schaute auch jetzt zu ihm auf und spürte seine Wärme und die starken Arme, die er um sie schlang. Und er war noch immer da und lächelte sie an: Gabriel.
    »Verzeih mir«, sagte er, doch der Helikopter war zu laut, als dass sie ihn hätte hören können.
    Liv schüttelte den Kopf, und sein Bild löste sich in Tränen auf. Da gab es nichts zu verzeihen. Gabriel hatte nun schon zweimal den Schmerz einer Trennung durchlitten, und sie würde ihn schon bald ein drittes Mal quälen. Sie hatte ihn zu spät geliebt und viel zu kurz, doch sie konnte sich ihr Schicksal nicht aussuchen.
    Der Helikopter flog eine Kurve und begann mit dem Sinkflug. Durch das Fenster sah es so aus, als würden Himmel und Erde wegkippen wie eine Vorschau des Weltuntergangs.
    Und dann sah Liv ihn. Er hockte in der Wüste; ein langer schwarzer Hals ragte aus einem stacheligen Rücken heraus, und sein Maul spie Feuer.
    Es war der Drache aus ihren Albträumen, der Drache aus der Prophezeiung und der Offenbarung des Johannes. Er wartete nur darauf, sie und das Sakrament in ihrer Seele zu verschlingen … Und sie flogen genau auf ihn zu.

110
    Hyde hatte das Ding auch aus dem Fenster gesehen, wie es unten in der Wüste brannte.
    Verdammt noch mal , dachte er. Sie haben es geschafft .
    Über Funk nahm er Kontakt zu dem Operationsleiter auf. Die Aufregung des Mannes war kaum zu überhören, selbst über eine Militärfrequenz, die Stimmen für gewöhnlich all ihrer Emotionen beraubte.
    »Wir sind durch eine Felsschicht gebrochen«, sagte er, »und da war es dann. Es ist riesig. Wir testen es gerade; deshalb verbrennen wir auch das ganze Gas. Bis jetzt übersteigen die Werte unsere Skala. Es ist von allerhöchster Qualität, und da unten ist ein ganzes Meer davon. So etwas habe ich noch nie gesehen. Wir haben ein Loch von Weltrekordtiefe gebohrt und eine Weltrekordmenge an Öl gefunden!«
    Hyde stellte sich seinen Gewinnanteil vor und was er alles damit machen konnte. Wieder in Austin würde er erst einmal in irgendeiner lächerlich teuren Karre bei Wanda vorfahren, damit sie sah, dass sie ihn zu früh abgeschossen hatte. Jetzt hatte er den Jackpot gewonnen, und sie würde nichts davon abbekommen. Er hatte alles auf Schwarz gesetzt, und es hatte sich ausgezahlt, nur dass sich hier kein Rouletterad, sondern ein Erdbohrer gedreht hatte.
    Sie umkreisten die Anlage, wichen den Thermalwinden der Gasflamme aus und setzten dann zur Landung an. Im selben Augenblick, als die Kufen den Boden berührten, stand Hyde auf und ging zur Seitentür, um die Gefangenen in den anderen Helikopter zu bringen. Er wollte das so schnell wie möglich hinter sich bringen, damit er sich endlich darauf konzentrieren konnte, wie er all das Geld ausgeben würde.
*
    Liv war vor Angst wie gelähmt. Durch das Fenster konnte sie die riesige Höllenbestie sehen. Und als die Hubschraubertür aufgerissen wurde, da hörte sie ihr Brüllen und spürte ihre Hitze. Sie rief nach ihr; sie wollte sie.
    »Raus!«, schrie ein Mann mit einer Pistole. John Mann ging als Erster, und Gabriel folgte ihm. Liv blieb, wo sie war; sie war vor Furcht wie angewurzelt. Gabriel drehte sich zu ihr um. Er wurde von der Hubschraubertür genauso eingerahmt wie in ihrem Traum in New Jersey, als er kurz darauf von den Flammen verschluckt worden war. In ihrem Delirium kam ihr die Erinnerung real vor, und sie sprang nach vorne, um Gabriel vor dem Drachen zu retten. Liv traf ihn mitten an der Brust und warf ihn nach hinten. Jetzt war sie draußen und lag mit Gabriel auf dem Betonboden. Sie spürte die Hitze auf ihrem Rücken und stellte sich vor, wie das Ungeheuer sie beobachtete und die Luft einsog, um sie als Feuer wieder auszuspeien, das sie alle verschlang. Ihr eigenes Leben war Liv egal – das war ohnehin
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